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Vertrauenskrise: Dieses Europa ist ein Europa von oben

Harald Martenstein war mal begeisterter Europa-Fan, aber das hat sich verflüchtigt. Europa scheint ihm nun wie eine selbstbezogene, volksferne und kaum durchschaubare Veranstaltung, als hätten wir wieder Feudalismus.

Ich glaube, ich bin mal ein begeisterter Anhänger der Europa-Idee gewesen. Ich war für ein vereintes Europa, total vereint, ähnlich wie die USA oder die Schweiz. Aber die Begeisterung hat sich irgendwie verflüchtigt, und zwar schon vor der Euro-Krise.

Die Europawahlen kommen mir wie eine Farce vor. Es gibt keine Direktkandidaten, nur Parteienlisten, die ich abnicken soll. Die Möglichkeiten des Wählers, bei der Zusammensetzung dieses Parlaments auch nur mitzubestimmen, sind gering. Deshalb sinkt ja auch die Wahlbeteiligung immer mehr. Die Kommissare und Räte und anderen Machthaber dieses Gebildes namens „Europa“ werden von den Regierungen und den Eliten intern ausgekungelt. Deswegen ist es üblich, Politiker, die man loswerden möchte, in Europa gut dotiert zu entsorgen. Bangemann, Stoiber, Oettinger. Oder man schickt Leute, die ein Skandälchen am Bein haben, für eine Auszeit nach Europa, quasi zum Ausnüchtern, so lange, bis der Ärger in Vergessenheit geraten ist. Cem Özdemir.

Ich habe in den vergangenen Jahren in seriösen Zeitungen unendlich viele Geschichten über die gute Dotierung und den geringen Arbeitsaufwand der Europapolitiker gelesen. Silvana Koch- Mehrin! In einem als seriös geltenden Buch des Staatsrechtlers Hans-Herbert von Arnim, „Das Europa-Komplott“, wurden 2006 die Finanz- und Korruptionsskandale der Europabürokratie aufgedröselt. Da wird einem schwarz vor den Augen. Man fragt sich, wieso die Europabürokraten den Griechen Vorwürfe machen, wo sie doch selber mit beiden Händen das Geld aus dem Fenster werfen, sich selber Monstergehälter und fürstliche Pensionen bewilligen und so gut wie keiner demokratischen Kontrolle unterworfen sind.

Dass diese Darstellung vereinfachend und polemisch ist, weiß ich selbst. Aber sie ist auch nicht ganz falsch. Dieses Europa ist ein Europa von oben. Es wird von potenziell proeuropäischen Europäern wie mir als eine selbstbezogene, volksferne und kaum durchschaubare Veranstaltung wahrgenommen, fast so, als habe es nie demokratische Revolutionen gegeben, als hätten wir wieder Feudalismus. Die Clans und die Familien entscheiden unter sich. Das bisschen an Macht und Mitsprache, das ich als Bürger in der Bundesrepublik besitze – viel ist es wirklich nicht –, möchte ich deshalb ungern aufgeben.

Wenn ich die Experten richtig verstehe, dann haben wir jetzt die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Entweder wir kriegen eine Art europäische Regierung, mit gemeinsamer Wirtschaftspolitik, und haben dann – vielleicht – einen stabilen Euro. Oder der Euro geht kaputt. Sorry, bei diesen Alternativen bin ich für Letzteres. Ich vertraue dem Gebilde „Europa“ nicht. Umgekehrt vertraut Europa mir ja auch nicht, sonst wäre es demokratischer.

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