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Ukrainische Soldaten in der Region Charkiw, wo die Truppen weite Teile des russischen Territoriums zurückerobert haben.

© Foto: dpa/Kostiantyn Liberov

Die Ampel kann besser unterstützen: Die Kriegswende bedeutet noch nicht den Sieg der Ukraine

Für Triumphgefühle bietet die neue Dynamik keine tragfähige Basis. Der Winter wird hart für die Ukraine. Deshalb muss auch Deutschland endlich entschlossener agieren.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Hoffnung wächst, jeden Tag ein bisschen mehr. Der Krieg in der Ukraine wird nicht enden, wie Wladimir Putin sich das vorgestellt hat, nämlich mit einem Sieg des Aggressors. Die dürre Formel, mit der die Bundesregierung seit Monaten die deutschen Interessen beschreibt – die Ukraine darf nicht verlieren, Russland darf nicht gewinnen – füllt sich plötzlich mit Leben.

Die ukrainischen Truppen sind im Süden und Osten auf dem Vormarsch und erobern verlorenes Terrain Stück für Stück zurück. Russische Soldaten fliehen vielerorts. All die Opfer, die die Ukraine bringt, um Freiheit und Selbstbestimmung zu verteidigen, und all die finanziellen Schmerzen, die Deutsche und andere Europäer als Folgen des Kriegs und der Sanktionen spüren, sind vielleicht doch nicht sinnlos.

Diese Ermutigung kommt zur rechten Zeit. Denn selbst wenn sich die Kriegswende verstetigt, werden die Wintermonate hart – für die Ukraine natürlich zuvorderst, aber auch für Deutschland. Für Triumphgefühle bietet die neue Dynamik keine tragfähige Basis.

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Beruhigend wirkt: Die europäische Friedensordnung ist unter dem russischen Angriff vor gut sechs Monaten nicht in sich zusammengebrochen. Erfolgreiche Gegenwehr ist möglich.

Zu früh, um den Sieg der Ukraine auszurufen

Doch vor den forschen Spekulationen, dass Russland jetzt rasch militärisch in die Knie gehe und Putins Sturz nur noch eine Frage der Zeit sei, kann man nur warnen. Es ist zu früh, um einen Sieg der Ukraine auszurufen. Der Kreml hat noch viele Mittel, um die Niederlage auf den Schlachtfeldern und auch an der politischen Heimatfront aufzuhalten.

Von Anfang hat sich Putin bei der Wahl seiner Waffen nicht auf das militärische Handwerk mit Artillerie, Panzern und Raketen beschränkt. Schon gar nicht hat er sich nach dem Kriegsvölkerrecht gerichtet. Er setzt auf Terror gegen die Zivilbevölkerung, um die Ukrainer zu demoralisieren.

Als Reaktion auf den Rückzug seiner Truppen lässt er gezielt Wohnviertel in Städten und zivile Versorgungseinrichtungen beschießen. Auf diese Strategie hatte er, um Widerstand zu brechen, bereits in Tschetschenien und Syrien gesetzt.

Zerstörte Wohngebäude in Charkiw
Zerstörte Wohngebäude in Charkiw

© Foto: dpa/Ukrinform/Uncredited

Wie werden Millionen Ukrainer durch den Winter kommen, wenn ihre Energieversorgung ausfällt? Finanziell überlebt die Regierung in Kiew ohnehin nur dank westlicher Hilfe.

In Russland deutet nichts auf drohende Volksaufstände hin. Der Propagandaapparat funktioniert. Wen erreichen dort überhaupt reale Beschreibungen des Kriegsverlaufs?

Gewiss will die russische Mittelschicht ihre Söhne nicht in der Ukraine opfern. Aber das fordert Putin ihr wohlweislich nicht ab. Er vermeidet eine Generalmobilmachung und setzt auf Soldaten aus dem Osten und aus ethnischen Minderheiten.

Es gibt bisher keine breite Protestbewegung, die dem Kreml gefährlich werden könnte. Und selbst wenn der innerste Führungszirkel gegen Putin putschen sollte: Wer will garantieren, dass die Nachfolger friedenswilliger sind?

Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles!

Rainer Maria Rilke

Für die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer gilt, frei nach Rainer Maria Rilke: „Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles!“ Entscheidend ist, wer die bessere Moral und den stärkeren Willen zum Durchhalten hat. In Teilen der Bundesregierung scheint es an dieser Entschlossenheit zu fehlen.

Warum hat der Bundessicherheitsrat noch immer nicht die Exportgenehmigung für die erbetenen Kampf- und Transportpanzer erteilt? Kanzler Olaf Scholz nimmt mehr Rücksicht auf Bedenken in der SPD als auf die Bitten der Verbündeten – und auf die deutschen Interessen. Zu denen zählt nach seinen eigenen Worten, dass die Ukraine sich gegen die russische Aggression behauptet. Die Ampel kann einiges mehr dazu beitragen, dass es so kommt.

Die militärischen Erfolge der Ukrainer beruhen auf einer Kombination von drei Faktoren: Sie sind dank US-Hilfe besser über die Stellungen und Nachschubwege der Russen informiert als umgekehrt. Sie haben weit reichende, schwere Waffen erhalten, um diese Ziele anzugreifen. Und sie wissen, wofür sie kämpfen. Das ist ein starkes Fundament für Zuversicht. 

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