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Meinung: Wacklig auf dem Gipfel

Es klingt paradox: Nie war Gerhard Schröder mehr Staatsmann als am Ende dieses Jahres, nie war er weiter vom Image des Spaß-Politikers entfernt. Vom Kaschmir-Kanzler ist keine Rede mehr in Zeiten, in denen im Kaschmir-Konflikt zwei Atommächte ihre Soldaten aufeinander hetzen.

Von Hans Monath

Es klingt paradox: Nie war Gerhard Schröder mehr Staatsmann als am Ende dieses Jahres, nie war er weiter vom Image des Spaß-Politikers entfernt. Vom Kaschmir-Kanzler ist keine Rede mehr in Zeiten, in denen im Kaschmir-Konflikt zwei Atommächte ihre Soldaten aufeinander hetzen. Und trotzdem ist Schröders neue Autorität und neue Machtfülle schon gefährdet. Das liegt nicht an der simplen Weisheit, dass der Absturz von politischen Höheflügen manchmal rasend schnell geht. Es liegt vielmehr daran, dass sich in den vergangenen hundert Tagen ein Wechselspiel zwischen außenpolitischen Herausforderungen und innenpolitischen Erwartungen herausbildete, in dem der Regierungschef es einfach hatte, viele Punkte zu sammeln. Doch der Reihe nach.

Am Ende des Jahres stehen Gerhard Schröder und Joschka Fischer auch deshalb mit einer beachtlichen außenpolitischen Bilanz da, weil sie die Schwäche ihrer eigenen Parteien erst überwinden mussten, um handeln zu können. Man muss sich nur einmal kurz vorstellen, ein Unions-Kanzler hätte auf der Grundlage der traditionell engen US-Bindung die gleiche deutsche Militärhilfe angeboten, die Schröder durchgesetzt hat. Viele Politiker der rot-grünen Regierung wären dagegen auf die Straße gegangen. Und niemand hätte einen konservativen Regierungschef wegen einer erwartbaren Handlung so gelobt, wie nun Schröder gelobt wird, dessen Regierung am Notwendigen fast zerbrochen wäre. Die Leistung des Kanzlers bestand also auch darin, nach dem 11. September den Interessen und dem Gewicht Deutschlands entsprechend zu reagieren und beide Regierungsparteien dabei mitzunehmen. Freilich hat deren außenpolitische Belastbarkeit Grenzen.

Wie gebannt war die Politik nach den Anschlägen von New York und Washington von der Notwendigkeit, der neuen Herausforderung zu begegnen. Alle anderen Probleme schienen wie weggewischt, während sich in Wirklichkeit manche durch die Verunsicherung der Weltwirtschaft nach dem 11. September verschlimmerten. Vor bald zwölf Monaten hatte der Kanzler das Versprechen abgegeben, er werde seine Leistung an der Senkung der Arbeitslosenzahl auf 3,5 Millionen messen lassen. Im Wahljahr 2002 werden ihm das die Angreifer um die Ohren hauen: Mindestens vier Millionen Arbeitslose erwarten die Ökonomen.

Es ist zwar richtig, dass ein deutscher Kanzler nicht schuld ist am Einbruch der Weltkonjunktur. Aber dass Deutschland bei den Wachstumszahlen in Europa weit hinten rangiert, spricht doch sehr dafür, dass ein guter Teil dieser Krise hausgemacht ist. Die "ruhige Hand" jedenfalls, die im Wahljahr die Stimmung glätten und Konflikte verhindern sollte, wird nicht weiterhelfen.

Der Macht-Kanzler an der Jahreswende: Es kann nur schlimmer kommen. Setzt die Führungsmacht USA den militärischen Kampf gegen den Terrorismus nach Afghanistan in anderen Ländern fort und fordert dazu Hilfe der Deutschen an, dann muss der Chef harte Entscheidungen treffen und noch mehr Führungswillen zeigen als 2001 - gegenüber den Grünen, aber auch gegenüber der SPD. Wie aber lässt sich die Vertrauensfrage noch steigern? Beschränkt sich die amerikanische Strategie gegen das Al-Qaida-Netzwerk aber auf eher unspektakuläre Mittel und verlagert sich der Anti-Terror-Kampf auf die hinteren Seiten der Zeitungen, dann stehen schnell die ungelösten Reformaufgaben und Versprechen wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit: Was ist mit den Arbeitslosen, Kanzler?

Manchmal hatte man am Ende dieses Jahres den Eindruck, man könne die Spuren der Anstrengung und der mit allem Einsatz überwundenen Krisen im Gesicht des Kanzlers lesen. Aber auch 2002 wird kein Jahr zum Ausruhen für Gerhard Schröder. Die Herausforderung für den Wahlkämpfer hat gerade erst begonnen.

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