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Meinung: Warum Deutschland heute verliert!

Von Kristian Åström, Schweden

Wenn ich schwedischer Nationaltrainer wäre und Zlatan Ibrahimovic hätte ein gebrochenes Bein, ich würde ihn aufs Spielfeld zwingen – mit Gips und Krücken. Denn Zlatan ist ein Zauberer. Heute in München vor 70 000 grölenden Deutschen brauchen wir jemanden, der übers Wasser gehen kann.

Historisch gesehen hat Schweden nur wenige solcher Spieler gehabt. Schwedische Mannschaften waren solidarisch wie eine schwedische Volksbewegung. Alle für einen, einer für alle und keiner für sich selbst. Doch das Gleichnis ist veraltet. Die Volksbewegungen in Schweden sind eingeschlafen, bestehen zumeist aus Pensionären und haben wenig mit der Zukunft zu tun. Außerdem besteht die Nationalmannschaft aus Spielern, die im Zeitgeist der 80er und 90er Jahre erzogen worden sind, der individuelle Lösungen mehr betonte als kollektive. Also warum verliert Deutschland heute? Nun, weil die schwedische Mannschaft sich für die WM mit einem imponierenden Torverhältnis qualifiziert hat. Nun haben sie zwar ein paar Spiele schlecht gespielt, aber irgendwann muss es ja wieder klappen. Elche im Rudel können überraschen!

Gleichzeitig gebe ich offen zu: Ich liebe die deutsche Mannschaft. Diese offene Haltung, Klinsmanns sachliches Auftreten, Lahms Sturmläufe und das jugendliche, völlig ungehemmte Spiel nach vorn. Drei Jahre lang habe ich aus Berlin berichtet über Haushaltsdefizite, Arbeitslosigkeit und die allgemeine Depression. Deshalb ist es schön, endlich einmal von einer solchen Euphorie zu erzählen. In meiner Straße in Berlin-Charlottenburg höre ich den Jubel aus Balkontüren und Fenstern. Ein Nachbar hat eine schwere Messingglocke an seiner Außenwand befestigt, die er jedes Mal läutet, wenn Deutschland ein Tor erzielt hat.

Daher habe ich auch Angst vor der Stunde heute, wenn Klinsmann ein One-way-Ticket nach Kalifornien lösen muss. Wieder wird sich Dunkelheit über Deutschland senken – und ich muss wieder über Haushaltsdefizite und Angela Merkels hängende Mundwinkel berichten und darüber, dass deutsche Frauen keine Kinder bekommen. Wenn ich das bedenke, glaube ich, dass ein deutscher WM-Traum, der so viel mehr enthält als ein Fußballergebnis, schwerer wiegt als ein schwedisches Viertelfinale.

Der Autor ist Korrespondent des Schwedischen Rundfunks. Übersetzung: Sven Lemkemeyer.

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