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Was WISSEN schafft: Lückenbüßer

Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke dürfen kein Tabu sein.

Auch nach dem dritten „Energiegipfel“ steht Deutschland ohne ein Konzept für die langfristige Energieversorgung da. Zentraler Streitpunkt ist die Kernenergie, die von den Stromerzeugern und Teilen der CDU als Patentlösung für den Klimaschutz angepriesen wird. Der Koalitionspartner SPD will jedoch am vereinbarten Atomausstieg bis 2022 festhalten und lehnt Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke ab. Schuld an dem politischen Patt ist ein Streit über anachronistische Prinzipien, die von den globalen Entwicklungen längst überholt wurden.

Die große Mehrheit der Deutschen ist nach wie vor für den Ausstieg aus der Kernenergie. Das Mandat für die Politik ist eindeutig – und gut begründet: Kernenergie wird auf absehbare Zeit mit erheblichen Sicherheitsrisiken verbunden bleiben. Größtes Problem ist die Endlagerung des hoch radioaktiven Abfalls, für die es – trotz jahrzehntelanger Anstrengungen – in keinem Land der Erde eine Lösung gibt. Derzeit verfeuern 435 Atomreaktoren rund um den Globus jährlich 70 000 Tonnen angereichertes Uran.

Wohin danach all der tödlich strahlende Müll kommt, weiß niemand. Auch gegen die Gefahr durch Unfälle, terroristische Anschläge und staatlichen Missbrauch angeblich ziviler Kernanlagen existieren keine überzeugenden Konzepte, im Gegenteil: Das nukleare Nichtverbreitungssystem auf Basis des Atomwaffensperrvertrags von 1970 ist de facto wirkungslos. Die zivile Kernenergie öffnet der Weiterverbreitung von Atomwaffen Tür und Tor – Indien, Pakistan und Israel haben es vorgemacht, Nordkorea, Iran und weitere werden folgen. Schließlich ist Kernenergie auch keine langfristige Alternative zu den etwa ab 2050 knapp werdenden fossilen Brennstoffen: Die wirtschaftlich nutzbaren Uranvorräte gehen in spätestens 80 Jahren zu Ende, bei Zunahme des weltweiten Verbrauchs bereits früher.

Andererseits müssen auch die Befürworter des Ausstiegs zur Kenntnis nehmen, dass sich die Hoffnung auf einen internationalen Trend nach deutschem Vorbild nicht erfüllt hat. Stattdessen erlebt die Kernenergie eine globale Renaissance: Rund 90 Reaktoren sind weltweit im Bau oder in Planung, weitere 160 in der Diskussion. Im Nachbarland Frankreich stehen 59 Anlagen, Tschechiens größtes AKW liegt 60 Kilometer vor der deutschen Grenze, Polen will einen Meiler direkt an die Oder setzen.

Darüber hinaus hat die im Juni 2000 zwischen Bundesregierung und Energieversorgern geschlossene Ausstiegsvereinbarung einen gravierenden Mangel: Sie regelt zwar minutiös die Abschaltung der Atommeiler – woher der Strom stattdessen kommen soll, bleibt jedoch vollkommen offen. Eine Verpflichtung der Energiewirtschaft, klimafreundliche fossile Kraftwerke zu entwickeln und zu bauen, gab es nicht.

Klimafreundliche fossile Kraftwerke, regenerative Energien und vor allem Effizienzsteigerungen beim Verbrauch werden langfristig einen Verzicht auf die Kernenergie ermöglichen, aus der Deutschland momentan 30 Prozent seines Stroms gewinnt. Bis zum Jahr 2022 ist das jedoch nur um den Preis der Abhängigkeit von dubiosen Importen möglich: Erdgas von unsicheren Lieferanten und Strom von ausländischen Kernkraftwerken. Oder es werden hastig Kohlekraftwerke alter Technologie errichtet, mit hohen Emissionen von Kohlendioxid.

Wenn Deutschland durch einen schlecht geplanten Ausstieg aus der Kernkraft seine Klimaziele verfehlt oder gar von Stromimporten abhängig wird, wäre die internationale Signalwirkung verheerend. Im beginnenden zweiten nuklearen Zeitalter kommt es mehr denn je darauf an zu beweisen, dass nationale Energiesicherheit, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Schonung der Umwelt auch ohne Kernkraft möglich sind. Nur wenn das gelingt, werden eines Tages auch die Meiler vor den deutschen Grenzen abgeschaltet werden, die im Zweifelsfall gefährlicher sind als die Atomanlagen hierzulande.

Deshalb ist der langfristige Erfolg eines neuen Energiekonzeptes wichtiger als die Frage, ob der letzte deutsche Reaktor 2022 oder zehn Jahre später abgeschaltet wird. Wenn ein gutes Konzept geringfügige Laufzeitverlängerungen erforderlich macht, sind diese das kleinere Übel.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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