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Meinung: Wende der Interpreten

Kanzler Schröder ist nicht dabei, seine Irakpolitik grundlegend zu verändern – er tut nur so

Die Schlagzeilen suggerieren Bewegung. Man könnte sogar den Eindruck gewinnen, die deutsche Außenpolitik vollziehe gerade eine grundsätzliche Wende. Der Kanzler bereite einen Bundeswehreinsatz im Irak vor – Gerhard Schröder, der sich im Bundestagswahlkampf 2002 und noch lange danach als Anti-Kriegs-Kanzler profiliert hatte.

Auch auf der anderen Seite tut sich was. Deutsche Firmen kriegen millionenschwere Aufträge im Irak. Hatte sich halb Deutschland nicht kurz vor Weihnachten erregt, Präsident George W. Bush wolle Firmen aus den Ländern, die gegen den Krieg waren, vom Wiederaufbau ausschließen?

Da kann man durchaus den Eindruck von zwei Kursänderungen gewinnen: Schröders Irak-Wende, Bushs Aufbau-Wende. Zu einer wahren Wende würde freilich gehören, dass es zuvor einen klaren Kurs gab – und jetzt einen anderen in eine andere Richtung. Politik beruht zu einem Gutteil darauf, den Glauben der Bürger an eine so eindeutige Haltung ihrer Regierung oder ihrer Partei zu stärken, auch wenn die gar nicht vorhanden ist. Was wir in diesen Tagen im Dreieck Deutschland-Irak-Amerika erleben, ist allerdings weniger eine Wende der Politik als vielmehr eine Wende ihrer Interpretation.

Beispiel Wiederaufbau: Die Bush-Regierung hatte deutsche Firmen nicht grundsätzlich von Aufträgen ausgeschlossen. Sie wollte sie seinerzeit nur nicht als Generalunternehmer akzeptieren. Tatsächlich hatte Siemens die Aufträge für eine Gasturbine und das Mobilfunknetz im Nordirak bereits Mitte Dezember als Sub-Auftragsnehmer sicher – was zum Beispiel der Tagesspiegel auch berichtet hatte. Aber damals empörten sich manche Interpreten lieber über den angeblichen generellen Ausschluss deutscher Firmen.

So ähnlich funktioniert auch die These von der Schröder-Wende. Erst wurde seine Anti- Kriegs-Rhetorik überhöht – und jetzt seine Bereitschaft, Bundeswehr in den Irak zu schicken. Der angebliche Anti-Kriegs-Kanzler hat vieles getan, was die Amerikaner zur Unterstützung im Irak wünschten, soweit es unterhalb der direkten Truppenentsendung lag: Er hat Überflugrechte erteilt, die Bundeswehr in Kuwait und vor der Küste Somalias gelassen; er hat das deutsche Kontingent in Afghanistan aufgestockt und die US-Kasernen hierzulande bewachen lassen, damit die USA Truppen abziehen konnten, die sie für den Irak brauchten. Das lag auch im deutschen Interesse. Denn nur so konnte Schröder der zu Jahresbeginn 2003 drohenden internationalen Vereinsamung entgehen: Indem er sich in der Praxis von der pazifistischen Politik, die er mit Blick auf die Wähler verkündet hatte, abwandte. Aber warum bekennt er sich bis heute nicht offen zu dem Kurs, den er verfolgt – jedenfalls nicht in Deutschland, sondern nur, wenn er in den USA auftritt, wie Ende November in New York, wo er dafür auch Beifall bekommt? Der Krieg ist doch vorbei. Und die Beteiligung an einer Stabilisierung für den Frieden eine ganz andere Angelegenheit.

Jetzt hat er das Angebot eines fliegenden Lazaretts an Bedingungen geknüpft – nur auf Bitten einer souveränen irakischen Regierung an die UN –, die frühestens im Sommer erfüllt sein können. Oder, bei strenger Auslegung, erst 2005, nach Wahlen im Irak. Die Begleitrhetorik – nur humanitäre Hilfe und kein stationäres Militärkrankenhaus, weil man kein Wachpersonal mitschicken wolle – bleibt hinter dem zurück, was die Bundesregierung bereits im Irak tut. Dort werden deutsche Aufbauhelfer von bewaffneten deutschen Sicherheitskräften geschützt. Schröders Kabinett hat sich richtigerweise dafür entschieden, sie nach den Anschlägen nicht abzuziehen, wie so viele andere Staaten und Organisationen. Die Iraker brauchen sichtbare Zeichen des Aufbaus, gegen den Terror.

Da liegt es nahe, Schröders Versicherungen, was alles auch in Zukunft ausgeschlossen sei, nicht zu wörtlich zu nehmen. Begrenzung aufs Humanitäre, wo doch Deutschland schon heute bewachte Aufbauhilfe leistet? Kein deutscher Soldat in den Irak, wo gleichzeitig der SPD-Experte Gernot Erler darauf verweist, dass die Nato wahrscheinlich Aufgaben im Irak übernehmen wird und in Nato- Stäben zahlreiche Bundeswehroffiziere arbeiten, deren Verlegung nicht von einem Bundestagsbeschluss abhänge?

Schröder sondiert also mit seinem lauten Nachdenken das Terrain. Und vertraut den alten Rezepten: Symbolpolitik soll die Substanzpolitik überstrahlen. Warum sagt er nicht: Wir waren gegen den Krieg. Der Irak ist in einer neuen Phase. An Wiederaufbau und Stabilisierung beteiligen wir uns. Das wäre doch gar keine Wende – sondern eine auch für Bürger nachvollziehbare Entwicklung.

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