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Meinung: Wenn nur der Irak nicht wäre

Auch eine neue Verfassung im besetzten Land hilft Bush bei seinen Landsleuten nicht

Irak wird nun auch in Amerika zu George W. Bushs offener Flanke. In Europa dominierte diese Sicht ja schon lange, dass der Krieg ein Fehler war, mit Lügen begründet wurde, und die USA mit ihrer pannenreichen Besatzungspolitik das Land in ein Chaos gestürzt haben. Doch erst jetzt wachsen die Zweifel in Amerika spürbar: weil verlustreiche Anschläge die US-Verluste auf über 1800 getrieben haben; weil das öffentliche Hin und Her, ob die Regierung Daten und Zahlen für den schrittweisen Rückzug nennen soll, illustrieren, dass ein klares Konzept fehlt. Und weil der bisher wenig sichtbare Protest der Kriegsgegner in der Soldatenmutter Cindy Sheehan, die vor Bushs Ranch campt, eine Integrationsfigur bekommen hat, die landesweit Aufmerksamkeit findet.

Bis zu diesem Wochenende mag sich der Präsident mit der Aussicht auf die nächste Erfolgsmeldung getröstet haben: Irak gibt sich eine demokratische Verfassung. Das drängt die Kritiker in die Defensive. So war es bei der Ergreifung Saddam Husseins, der offiziellen Machtübergabe an die Iraker Ende Juni 2004 oder den ersten freien Wahlen zu Jahresanfang. Rund um solche großen Einschnitte hatte es zwar vermehrt Anschläge gegeben, aber die gute Botschaft erwies in der amerikanischen Öffentlichkeit als stärker und erneuerte den Glauben an die idealistische Supermacht, die – unter Opfern – anderen Völkern Demokratie schenkt.

Diesmal sind die Zweifel stärker. Selbst wenn sich Schiiten, Kurden und Sunniten doch noch auf den für heute geplanten Verfassungsentwurf einigen – er wird Amerika enttäuschen. Weil die Frauenrechte und weitere Grundprinzipien nicht westlichen Standards genügen; weil der Streit um den Staatsaufbau, die Rolle des Islams und die Öleinnahmen nicht gelöst, sondern bestenfalls überdeckt wird; weil überhaupt der Irak sich nicht als der dankbare Beschenkte erweist und folglich nicht zum Demokratiemodell für Arabien werden wird. „Die Amerikaner sind die einzigen am Tisch, die wirklich Demokratie wollen“, sagt ein Kurde im Verfassungskomitee.

Die Zweifel am Sinn des Projekts Irak beherrschen derzeit die Titelseiten der großen Zeitungen. Tage „voll Tinte und Blut“, fasst die „New York Times“ die vergangene Woche zusammen. Wofür dann aber die ganzen Opfer?

Irak schadet Bush in den Umfragen, nur noch ein Drittel glaubt an seine Politik dort, und insgesamt ist weniger als die Hälfte der Amerikaner mit seiner Amtsführung einverstanden – ein Tiefpunkt für ihn. Aber gemessen an der Irakbilanz ist eher erstaunlich, wie wenig die Toten und die Misserfolge Bush behelligen. Auch auf dem Tiefpunkt seines Ansehens halten ihn fast zwei Drittel für sympathisch und insgesamt okay. Die meisten Bürger spüren die Irakfolgen nicht am eigenen Leib. Und die Soldatenfamilien, die Tote zu beklagen haben, sind in der großen Mehrheit konservativ geprägt.

So ergeben sich zwei brennende Fragen für die Europäer. Wie können sie erreichen, dass Amerika sich nicht verfrüht davonmacht, sondern bleibt, bis Iraker die Sicherheit gewährleisten können? Und wenn Bushs Weg so offensichtlich der falsche war, was ist dann ihr Konzept – ein praktisches, keine wolkigen guten Absichten –, um Arabien die Demokratie zu bringen und den Terrorismus auszutrocknen?

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