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Die geballte Faust der Frauen - zum Frauentag vor zwei Jahren in Berlin

© imago

Wieder ein Abtreibungsprozess: Der weibliche Körper gehört nicht dem Gesetzgeber

Schwangerschaftsabbruch ist noch immer rechtswidrig - deswegen ist es weiter möglich, Ärztinnen und Schwangere unter Druck zu setzen. Das muss aufhören.

In wenigen Tagen wird in Hessen ein Prozess stattfinden, mit einer Anklage, die schlecht zum Selbstbild Deutschlands als aufgeklärtes Land passt. Vor dem Amtsgericht Gießen wird sich am kommenden Freitag die Ärztin Kristina Hänel gegen den Vorwurf verteidigen müssen, sie habe für Schwangerschaftsabbrüche geworben. Das kuriose Werbeverbot, das den Eingriff zur Beendigung einer Schwangerschaft behandelt wie ein begehrenswertes Gut, eine Ware, ein Designerstück, eine Kreuzfahrt, steht im Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs, sozusagen dem bösen kleinen Nachbarn jenes Paragrafen 218, gegen den Frauen in Deutschland gekämpft haben, seit es ihn gibt – seit fast 150 Jahren.

Die Reformen haben Verfolgung nicht unmöglich gemacht

Jetzt lässt sich, wieder einmal, feststellen: ohne wirklichen Erfolg. Wie oft wollte frau seit den harten Kämpfen der 1970er Jahre um die Reform des Abtreibungsparagrafen glauben, nun sei es doch geschafft. Damals fiel in beiden deutschen Staaten das Totalverbot. Es gab nun legale Möglichkeiten des Abbruchs, eine Freigabe in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten in der DDR seit 1972, die „Indikationslösung“ unter Bedingungen seit 1976 in Westdeutschland. Die Einheit machte 1992, wieder nach harten Auseinandersetzungen, die Fristenlösung (Ost) zu gesamtdeutschem Recht, freilich mit westdeutscher Ergänzung, der verpflichtenden Beratung der schwangeren Frau.

Der Körper einer Frau und alles, was sich in ihm befindet, gehört einzig und allein der Frau. Was mit ihm geschieht, hat nur sie zu bestimmen, weder die Gesellschaft noch ein Samenspender haben ein Anrecht auf diesen Körper.

schreibt NutzerIn macthepirat

Doch die 76er-Reform hatte nicht verhindert, dass 1989 im bayerischen Memmingen hunderte Frauen zu demütigenden Aussagen gezwungen, und ihr Arzt, der Gynäkologe Horst Theissen, wegen angeblich illegaler Schwangerschaftsabbrüche verurteilt wurde – zunächst zu Gefängnis und Berufsverbot, später zu einer Bewährungsstrafe. Dass jetzt seine Kollegin vor Gericht muss, dass eine unbekannte Zahl weiterer Medizinerinnen von drohenden Klagen eingeschüchtert, sich zurückgezogen hat, hat immer noch denselben Grund: Die Reform war keine echte. Noch immer gibt es den Paragrafen, dessen Streichung schon in der ersten deutschen Demokratie nicht gelang. Und noch immer steht im Strafgesetzbuch: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Heißt: Der Eingriff bleibt rechtswidrig.

Der böse Kern des 218 blieb

Der Verzicht auf Strafverfolgung, vor allem der Frauen, und die erweiterten legalen Möglichkeiten des Abbruchs, konnten glauben machen – auch die Autorin glaubte dies lange –, dass die fortdauernde Rechtswidrigkeit des Abbruchs nichts mehr sei als ein Schönheitsfehler, ein folgenloses Zugeständnis an sogenannte Lebensschützer und katholische Bischöfe. Aber das ist sie nicht: Sie ist der Hebel, mit dem Prozesse wie die von Memmingen und jetzt Gießen ins Werk gesetzt werden können. Und sie ist auch politisch ein prominentes und trauriges Zeichen, dass die Gleichheit von Männern und Frauen nicht einmal überall auf dem Papier steht. Alle Verbesserungen haben den bösartigen Kern des 218 ff. nämlich unverletzt gelassen: Frauen die Selbstbestimmung zu verweigern, sie zu entmündigen – das tut auch die moderne Zutat der Pflichtberatung noch, die sie für nicht allein entscheidungsfähig nimmt – oder sie zu Brutkästen zu degradieren.

Die AfD wirbt mit dem Bauch einer Schwangeren

Die deutschen Nazis so wie Rumäniens Diktator Ceausescu verboten Abtreibung, weil ihre Zwangssysteme Menschenmaterial brauchten. Die Kontrolle der „gefährlichen“, der „zügellosen“, verantwortungslosen Frau war dabei stets eine willkommene Neben- bis Hauptfolge, ein Motiv, dem ein zähes Nachleben auch in Demokratien garantiert war. Und ist. Dazu genügt es, die einschlägigen Parlamentsprotokolle und Kommentare zu lesen, wann immer der 218 öffentlich debattiert wurde. Frauenverbände haben vergangene Woche moniert, dass Gleichstellungspolitik es in den nunmehr gescheiterten Sondierungen gerade einmal auf zwei Zeilen im Papierausstoß gebracht habe. Sie haben recht und dennoch ist das womöglich ein Glück. Die Zeiten sind nicht wirklich gut dafür und für die überfällige Reform eines grotesken und überholten Paragrafen erst recht nicht.

Im Augenblick ist der Druck von rechts vor allem im ideologischen Krieg um die Flüchtlingspolitik zu spüren. Die Geschlechter-Agenda der AfD könnte altes Denken auch im bürgerlichen Konservatismus wieder freischalten. Ihr Wahlplakat mit einer gesichtslosen Schwangeren und dem Slogan: „Neue Deutsche? Machen wir selber“ zeigte die – bevölkerungspolitische – Richtung. Wir sind, auch hier, vordemokratischen Zeiten näher als dem Paradies der Emanzipation.

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