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Wirtschaftsaufschwung: Operation Eichhörnchen

Wahnsinn, Sommermärchen, Aufschwung XL: Selbst nüchterne Büro-Ökonomen und Politiker geraten ins Schwärmen angesichts der neuen Rekordkonjunkturdaten. Die Bundesregierung sollte den Rekordaufschwung nutzen – zum Sparen.

Zwischen April und Ende Juni ist die Wirtschaft der Bundesrepublik so stark gewachsen wie seit der Wiedervereinigung nicht. Damit hat sie sich an die Spitze aller großen Industrieländer gesetzt, selbst das dauerdynamische China hat das Nachsehen – für den Moment jedenfalls.

Dass dem tiefen Absturz aus dem vergangenen Jahr ein kometengleicher Aufstieg folgt, liegt vor allem am klugen Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik. Die Unternehmen haben nach dem historischen Geschäftseinbruch 2009 nicht hektisch gespart und Leute entlassen, sondern sind in Lauerstellung geblieben. Dank üppiger staatlicher Hilfe bei Aufträgen, Lohnkosten und Kreditbeschaffung standen die Betriebe bereit, als die Nachfrage aus den aufstrebenden Ländern Asiens und Lateinamerikas anzog. Nun investiert die Wirtschaft wieder, und die Chancen, dass auch die Arbeitnehmer an den Früchten des Aufschwungs beteiligt werden, stehen nicht schlecht.

Dennoch sind die Fundamente des plötzlichen Wachstums noch immer dünn. Nicht allein, weil wieder einmal vor allem der Export den Wohlstand bringt, die Nachfrage aus dem Ausland aber bald abklingen dürfte. Denn viele Länder müssen sparen, und die USA und China fallen in nächster Zeit als Kraftzentren der Welt wohl aus.

Keine zwei Jahre ist es her, dass das Weltfinanzsystem am Rand des Zusammenbruchs stand. Und erst ein halbes Jahr ist vergangen, seit den Europäern ihre Währung beinahe um die Ohren geflogen wäre. Im einen wie im anderen Fall steht eine adäquate Reaktion der Staatengemeinschaft aus, die an den Ursachen der Turbulenzen ansetzte. Erste Versuche, die globalisierten Finanzzocker zu regulieren, gibt es, mehr nicht. Und einer strengeren Schuldenkontrolle ihrer Mitglieder ist die Euro-Währungsunion keinen Schritt nähergekommen, ganz zu schweigen von einer engeren Abstimmung bei der Wirtschaftspolitik.

Nicht einmal der einstige Stabilitätsfanatiker Deutschland hat aus der Euro-Krise die richtige Lehre gezogen: Beim Versuch, endlich zu sparen, quietscht es in der Regierung. Obendrein träumen die vom Umfragedesaster geplagten Freidemokraten schon davon, das Sparen lieber noch ein bisschen aufzuschieben und stattdessen weiter Geld unters Volk zu bringen. Ganz so wie in der letzten Wachstumsphase 2006 und 2007. Statt den stattlichen Aufschwung endlich zum Schuldenabbau zu nutzen, kamen der damaligen schwarz-roten Koalition immer neue Ausgabenideen.

Wer aber jetzt nicht spart, den kann die nächste Krise böse erwischen. Für neue, milliardenschwere Konjunkturprogramme fehlt das Geld, sollte der Dollar in die Tiefe stürzen oder die Inflation außer Kontrolle geraten. Beide Szenarien sind keine Schwarzmalerei, sondern echte Gefahren als Folge der jahrelangen Schuldenorgien beiderseits des Atlantiks. Mit den schönen deutschen Zahlen wäre es dann rasch vorbei, und aus dem Aufschwung XL würde wieder der Abschwung XXL.

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