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Bundeswehr: Wo ein Geheimnis Verrat wäre

Die deutsche Öffentlichkeit hat einen Anspruch, alles über Kundus zu erfahren – und zwar jetzt.

Augen zu und durch – das ist so eine Parole wie: Besser falsch entscheiden als gar nicht entscheiden. Das sind Sätze, die den schieren, blinden Aktionismus schon zum zielgerichteten Handeln in Situationen machen, wo es eigentlich besser wäre, erst einmal nachzudenken und zuzuhören.

Manche der Deutungen des Geschehens in der Nähe von Kundus am 4. September erinnern beunruhigend an eine solche beklagenswerte Hauruckmentalität. Sowohl die Bundeskanzlerin als auch der alte und zunächst auch der neue Verteidigungsminister gingen offenbar davon aus, dass an den Bewertungen und daraus resultierenden Entscheidungen des deutschen Oberst Klein nichts zu tadeln sei: Die Taliban hatten zwei Tanklastzüge entführt und diese an einer Sandbank im Fluss auf Grund gefahren. Dennoch drohte Gefahr, die Fahrzeuge könnten als rollende Bomben gegen das deutsche Feldlager eingesetzt werden. Die Bombardierung schien die sicherste Methode, einen solchen Plan endgültig zu vereiteln. „Militärisch angemessen“ nannte das Karl-Theodor zu Guttenberg noch vor einem Monat, bevor er in der vergangenen Woche sein Urteil um das entscheidende Wort „nicht“ ergänzte und damit revidierte. Den Oberst Klein freilich, so sagte er, wolle er nicht fallen lassen.

Das klang zunächst honorig, sollte aber in einer Demokratie nicht überraschen, in der nach allgemeinem Konsens bestenfalls Gerichte ein solches Verdikt aussprechen können. Minister zu Guttenberg sei, erfahren wir nun, aufgrund von Berichten, die ihm zunächst nicht zur Verfügung standen, zur Korrektur seiner Bewertung gekommen. Diese Berichte aber, leider, unterliegen nun wohl der Geheimhaltung, sagt das Verteidigungsministerium, so ist das mit Nato-Papieren. Sicher hört der Verteidigungsausschuss, der als Untersuchungsausschuss arbeiten wird, irgendwann mehr. Leider tagt dieser Ausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Das war’s dann mit der Aufklärung? So billig sollten sich die Deutschen nicht abspeisen lassen, und auch die Abgeordneten der Koalition dürfen nicht versuchen, sich so einen schlanken Fuß zu machen. Die Bundeswehr ist eine Parlaments-, eine Bürgerarmee, keine Geheimaktion. Ob Oberst Klein sechs Bomben angefordert hat, wo die US-Kampfflieger schon zwei eigentlich zu viel fanden; ob er die von den Amerikanern zur Warnung vorgeschlagenen Tiefflüge ablehnte, ob er oder andere in der deutschen Leitstelle hätten erkennen können, dass sich sehr viele Zivilisten auf dieser Sandbank aufhalten – das alles ist nicht von kriegsentscheidender Bedeutung und muss somit nicht geheim bleiben.

Aber die Bürger, deren Töchter und Söhne demnächst als Soldaten nach Afghanistan müssen, haben einen moralischen Anspruch, zu erfahren, was dort geschehen ist. Ihnen gegenüber ein Geheimnis daraus zu machen, wäre Verrat. Verrat am Vertrauen auf die Angemessenheit militärischen Handelns.

Gerd Appenzeller

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