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Meinung: Worte ohne Maß

Die Türkei und der Syrien-Konflikt: Warum Ankara seine Macht nicht überschätzen darf.

Die Türkei gefällt sich als Hans Dampf in allen Nahost-Gassen. Überall in der Region ist Ankara aktiv, will Gegenwart und Zukunft mitgestalten, auch als Modell für die Länder des Arabischen Frühlings. Doch der Anspruch der Türken ist größer als ihre Macht. Die Krise in Syrien ist ein Beispiel dafür.

„Neo-osmanisch“ wird die Außenpolitik von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan manchmal genannt. Denn nach einem Jahrzehnt des Wirtschaftsbooms und der demokratischen Reformen fühlt sich Ankara als Erbe des Osmanischen Reiches stark genug, um erneut eine regionale Führungsrolle zu übernehmen. Die Gelegenheit scheint günstig. Der dramatische Ansehensverlust der USA in der Region wegen des Irakkrieges und der bedingungslosen Parteinahme für Israel hat ein Vakuum geschaffen. Das will Ankara füllen.

Die Türken vermittelten jahrelang zwischen Israel und Syrien, sie suchen Kompromisse für Pakistan und Afghanistan, sie wollen im iranischen Atomstreit vermitteln, sie redeten bei der Regierungsbildung in Libanon mit. Selbst in Somalia sind ihre Diplomaten aktiv.

Wen wundert’s? Die Türkei verfügt über eine geostrategisch wichtige Lage. Sie hat die größte Marktwirtschaft und eine der stärksten Armeen in Nahost, sie ist EU-Kandidatin sowie Mitglied der Nato und der G 20. Sie hat als muslimisches Land eine – einigermaßen – funktionierende Demokratie und einen charismatischen Ministerpräsidenten. In manchen Gegenden des Nahen Ostens ist Erdogan ein Popstar, besonders wegen seiner harten Linie gegenüber Israel. Und doch konnte die Türkei bisher nur wenige ihrer ehrgeizigen Projekte umsetzen. Die Vermittlung zwischen Israel und Syrien scheiterte, ein Vorstoß im iranischen Atomstreit verunsicherte die westlichen Partner. Den Versuch einer Aussöhnung mit Armenien brach die türkische Regierung wegen des innenpolitischen Widerstandes der Nationalisten ab. In der Libyen-Krise des vergangenen Jahres kritisierte Erdogan zunächst das Nato-Engagement, fügte sich dann aber.

Auch in der Syrien-Krise muss die Türkei trotz aller markigen Worte erkennen, dass die Musik woanders spielt: bei den USA, beim UN-Sicherheitsrat und beim traditionellen Rivalen Russland. Viele direkte Einflussmöglichkeiten hat die Türkei als Einzelakteur nicht. Im vergangenen Jahr stellte Erdogan den Versuch, den langjährigen Partner Assad zu Reformen zu bewegen, nach einigen Monaten frustriert ein.

Der damals eingeleitete Wandel zur entschiedenen Assad-Gegnerin macht die Dinge für die Türkei aber keineswegs einfacher. Selbst nach der Drohung mit Präventivschlägen gegen Syrien wird Erdogan mit dem Einsatz seiner Armee überaus vorsichtig sein, denn die Exportnation Türkei will keinen neuen großen Krieg in Nahost lostreten. Und eine Militärintervention beim Nachbarn kommt ohne grünes Licht und Hilfe der USA nicht infrage. Die Opposition in Ankara wirft Erdogan sogar vor, er sei nur ein „Subunternehmer“ Washingtons.

Das ist maßlos übertrieben. Die Türkei hat mit ihren wirtschaftlichen und politischen Stärken die Möglichkeit, ein gewichtiges Wort in Nahost mitzureden. Aber Ankara sollte den ehrgeizigen Anspruch auf eine Führungsrolle nicht mit den machtpolitischen Realitäten verwechseln.

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