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Meinung: Zittern wie beim Zahnarzt

Plötzlich herrscht Angst vorm Föderalismus

Wer zu den langjährigen Beobachtern und Teilnehmern der Föderalismusdebatte gehört, kann sich in den jüngsten Tagen nur wundern. Jahrzehntelang haben Politiker und Medien unisono über die fatalen Folgen der immer dichteren Politikverflechtung und der gegenseitigen Blockade zwischen Bundestag und Bundesrat geklagt. Jetzt aber, da sich zum ersten Mal etwas ändern soll, sind die Beschwerden vergessen, statt des Leidens gilt die Therapie als das eigentliche Übel. Dies alles erinnert mich an Leute, die seit Wochen unter fürchterlichem Zahnschmerz leiden – aber kaum dass sie sich der Zahnarztpraxis nähern, schwindet das Weh und stellt sich heftiges Zittern ein. Versuchen wir also die Hauptirrtümer dieser Flucht vor den gestern noch gültigen Tatsachen aufzuklären.

Da ist zum Ersten die Behauptung, man könne vom Parlament doch nicht verlangen, das Reformpaket nur brav abzunicken. Hier wird ein an sich richtiges Argument in einen falschen, unpassenden Zusammenhang gerückt. Richtig ist: Das Parlament darf prinzipiell nicht in eine bloße Ratifikationslage (friss oder stirb!) gesetzt werden, wie dies beim Atomenergiekonsens zwischen Regierung und Wirtschaft der Fall war. Aber bei der Föderalismusreform liegen die Dinge total anders. Erstens: Das Parlament gerät nicht in die erstickende Klemme zwischen Wirtschaft und Regierung, sondern es handelt sich um eine Abstimmung zwischen den staatlichen Ebenen. Zweitens: Das Parlament ist keinesfalls ausgebremst, sondern war im Gegenteil von Anfang an gleichberechtigt beteiligt. Nicht eine das Parlament bedrückende Regierung war es, sondern es waren Bundestag und Bundesrat, die das Projekt angestoßen haben. Mangelnde Beteiligung, fehlende Transparenz? Unfug!

Da ist zum Zweiten die Angst, der Bund werde zu Lasten der Länder geschwächt. In der Vergangenheit aber war es doch so, dass der Bundestag mit seiner Mehrheit beschließen konnte, was er wollte – solange im Bundesrat eine andere Mehrheit (oder auch nur eine andere Minderheit plus viele durch Bundesratsklauseln neutralisierte Länder) vertreten war, ging zumeist nichts. Und bisweilen hatte einer der Ministerpräsidenten, etwa der von Saarbrücken, der sich für einen großen Regierungschef hielt, ein „Erpressungspotenzial“ in der Hand. Der Bund würde also nur gestärkt, wenn er seine Angelegenheiten demnächst einigermaßen unbehelligt regeln könnte. Und wenn die Länder ihrerseits künftig nicht nur mehr originäre Kompetenzen bekämen, möglichst mit der unmittelbaren finanziellen Verantwortung in Einnahmen und Ausgaben – umso besser.

Da ist, drittens, die geschürte Angst vor der „Kleinstaaterei“. Die Frage ist freilich nur, auf welchem Wege wir zu einer möglichst großen Ausgeglichenheit der Lebensverhältnisse kommen wollen: durch zentralbürokratischen und zähen Oktroi (oder kryptozentralistische Absprachen nach dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners, siehe Kultusministerkonferenz) – oder durch den relativ offenen Vergleichswettbewerb um die besten Lösungen, die andere zur Nachahmung einladen oder zwingen? Man muss nicht übermäßig liberal denken, um den zweiten Weg als intelligenter und produktiver zu durchschauen.

Gewiss, dieses Paket zur Föderalismusreform lässt sich kräftig kritisieren: zu wenig, zu unentschieden. Die Neugliederung in Länder, die zum eigenständigen Überleben und zum Wettbewerb fähig sind, wurde wieder einmal gescheut – ebenso wie eine gründliche Finanzreform, die eine Neugliederung von selber nach sich ziehen würde. Dies alles bleibt zu tadeln. Aber dann soll man auf viele weitere Schritte drängen, anstatt schon den ersten Sprung über die Hürde aus lauter falschen Gründen zu verweigern.

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