zum Hauptinhalt

Meinung: Zu hoher Verbrauch

In Wolfsburg werden künftig nur noch Autos gebaut, wenn die Arbeitskosten sinken

Sind 942 Euro viel Geld? Für einen Azubi im ersten Lehrjahr ist das eine ganze Menge. Im dritten Jahr gibt es 1066 Euro, und danach kommt das Allerbeste: Jeder, egal ob gut oder schlecht, faul oder fleißig, wird nach der Ausbildung übernommen. Das ist wunderbar für die jungen Leute und ziemlich lästig für das Unternehmen, das nicht allein die Arbeitskräfte übernehmen kann, die es auch wirklich braucht. Aber so sind die Verhältnisse bei Volkswagen. So gut wie jeder Beschäftigte ist Mitglied der IG Metall. Deshalb ist die Gewerkschaft mächtig und hat dem Unternehmen im Laufe der Jahre so sonderbare Dinge abgetrotzt wie die Privilegien für die Azubis. Deren Lohn liegt um rund 20 Prozent über dem aller anderen Metallerlehrlinge in Niedersachsen.

Peter Hartz ist Personalvorstand bei VW. Hartz hat gute Leute in seinem Stab, die sich immer wieder neue Dinge einfallen lassen. Manchmal ist das so raffiniert, dass die IG Metall gar nicht ablehnen kann. Zum Beispiel 1993, als es VW sehr schlecht ging und für 30 000 Beschäftigte keine Arbeit mehr da war. Mit der Vier-Tage-Woche, einer massiven Arbeitszeitverkürzung und Arbeitsumverteilung, löste Hartz das Problem. Nun will er die IG Metall mit einem fetten Köder zur Abkehr von der Ausbildungsordnung bewegen: Wenn die VW-Azubis künftig so viel Geld bekommen wie ihre Metallerkollegen in anderen Unternehmen – also 20 Prozent weniger – und wenn die Übernahmeverpflichtung wegfällt, dann bildet VW 20 Prozent mehr aus. Statt 1250 künftig 1500 Lehrstellen. Kann die IG Metall so ein Angebot ablehnen?

Und das ist nur ein Punkt im umfangreichen Programm, mit dem Hartz Volkswagen wettbewerbsfähiger machen will. Auch die „Job Familie“, „Gesundheitsbausteine“ und „Co-Investment für Beschäftigungssicherung“ gehören dazu. Dahinter verbergen sich tiefe Griffe in die Lohntüte. Hartz zielt auf die gut 100 000 Mitarbeiter in den sechs westdeutschen Werken. Die sollen künftig noch flexibler arbeiten, sich mehr qualifizieren, um die eigene Gesundheit kümmern und vor allem – billiger werden. Bei den Arbeitskosten will Hartz spätestens im Jahr 2011 rund 30 Prozent sparen, das macht zwei Milliarden Euro. Warum sollten sich die Beschäftigten darauf einlassen?

Volkswagen produziert traditionell teuer, insbesondere das Riesenwerk in Wolfsburg. Das hängt zusammen mit der Monopolstellung des Käfers in den Nachkriegsjahrzehnten. Das Kugelauto verkaufte sich prächtig, die VWler verdienten entsprechend. Die Vier- Tage-Woche mit Lohneinbußen war nur möglich, weil in Wolfsburg so gut verdient wird. Hartz sagt, die Arbeitskosten bei VW seien um elf Prozent höher als bei den deutschen Wettbewerbern. Und sogar um achtzig Prozent gegenüber Konzernfabriken in Tschechien oder Argentinien. Anders gesagt: Der VW-Konzern, der in diesem Jahr knapp zwei Milliarden Euro Gewinn macht, verdient das Geld vor allem im Ausland. Oder im sächsischen Mosel, wo mehr als 6000 VWler den Golf bauen – um 20 Prozent günstiger als in Wolfsburg.

Hat die Autostadt da eine Zukunft? Vor ein paar Jahren begann das Arbeitsmodell 5000 mal 5000, auch so eine Erfindung von Hartz: VW stellt 5000 Arbeitslose zu einem Einheitslohn von 5000 Markt ein; für das Geld muss eine bestimmte Menge und Qualität des Minivans Touran gebaut werden. Wird das Ziel verfehlt, muss eben länger gearbeitet werden. Ohne mehr Geld. Alles in allem ist die Touran-Fertigung um gut ein Fünftel kostengünstiger als die klassische VW-Produktion.

Weitblickende IG-Metaller warnten damals, der Touran werde so zu einem trojanischen Pferd. Sie werden Recht behalten. Aber Sie wissen auch, dass die fetten Jahre für Wolfsburg vorbei sind.

Was Hartz von seinen Beschäftigten will, ist zumutbar. Die „alten“ Mitarbeiter genießen Besitzstandswahrung, bei ihnen halten sich die Einbußen in verträglichen Grenzen. Wer neu kommt, kriegt dagegen deutlich weniger. Nach diesem Prinzip wurde vor ein paar Wochen auch der Tarifkonflikt bei Daimler-Chrysler gelöst: Den Facharbeitern in den Montagefabriken wurde nicht in die Tasche gegriffen. Alle neu Eingestellten bekommen weniger.

Auch die Alten werden sich bewegen müssen, wollen sie sich gegen Osteuropa behaupten. Geschickt hat Hartz die Standortentscheidung für die Produktion eines neuen kleinen Geländewagens mit den Tarifverhandlungen verknüpft. Der große Bruder Touareg wird in Bratislava gebaut, für den kleinen kommen drei Standorte in Frage: neben Wolfsburg zwei in Osteuropa. Würde das Auto in Wolfsburg gebaut, wäre es 1400 Euro teurer als in den beiden Alternativfabriken. Warum sollten die Kunden bereit sein den Wolfsburg- Aufschlag zu zahlen? Die VWler im Westen werden auf Privilegien verzichten müssen, wenn sie in 20 Jahren noch Autos bauen wollen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false