zum Hauptinhalt
Handwerk, nein Danke. Der Prozentsatz junger Erwachsener mit Hochschulabschluss ist von 30 im Jahr 2015 auf 37 im Jahr 2022 gestiegen.

© dpa/Catherine Waibel

Update

Neue OECD-Studie vorgestellt: Deutschland verliert bei der beruflichen Bildung

Jährlich gibt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einen Überblick über den Zustand der Bildung. Die Politik und Wirtschaft reagieren „alarmiert“.

| Update:

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat am Dienstag ihren jährlichen Bericht „Bildung auf einen Blick“ vorgestellt. Für Deutschland sind einige positive Ergebnisse, aber auch negative Tendenzen dabei. Zu letzterem gehört insbesondere ein erheblicher Einbruch bei der Erlangung eines beruflichen Bildungsabschlusses.

Demnach ist der Anteil der 25- bis 34-Jährigen, die einen beruflichen Abschluss vorweisen können, zwischen 2015 und 2022 von 51 auf 38 Prozent zurückgegangen. Der Rückgang von 13 Prozentpunkten ist der größte unter allen OECD-Ländern und liegt deutlich über dem durchschnittlichen Rückgang von zwei Prozentpunkten.

Aus dem Rückgang resultiert ganz direkt der allseits bekannte und beklagte Fachkräfteengpass. Besonders betroffenen sind vor allem auch klassische Ausbildungsberufe im Handwerk wie Elektroinstallation und -montage, Zerspanungstechnik, Kunststoffverarbeitung, Rohrleitungsbau, Schweißtechnik sowie Maschinenbau. Zudem fehlen Kräfte in den Ausbildungsberufen Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege.

13
Prozent beträgt der Rückgang beim Anteil der Jugendlichen mit beruflichem Abschluss.

Zudem ist Deutschland eines von nur zwei OECD-Ländern, in denen der Anteil der 25- bis 34-Jährigen, die weder über einen Berufs- noch über einen Studienabschluss verfügen, im selben Zeitraum von 13 auf 16 Prozent gestiegen und liegt damit um zwei Prozentpunkte über dem Schnitt. Parallel dazu vergrößerte sich der Prozentsatz junger Erwachsener mit Hochschulabschluss von 30 im Jahr 2015 auf 37 im Jahr 2022. Dies spiegelt einen OECD-weiten Trend zu steigenden Raten von Hochschulabschlüssen.

Zunehmende „Bildungspolarisierung“

Die Autoren der Studie sprechen von einer „zunehmenden Bildungspolarisierung“, da mehr junge Erwachsene in Deutschland entweder ein sehr niedriges oder ein hohes Bildungsniveau erlangen. Mit anderen Worten: Die Mitte wird immer kleiner. Dies wiederum schlägt sich auf dem Arbeitsmarkt dergestalt nieder, dass Nachwuchs in den Ausbildungsberufen fehlt.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Jens Brandenburg (FDP), nannte es „alarmierend“, dass der Anteil geringqualifizierter junger Erwachsener erneut gestiegen sei. Deutschland könne es sich „schlicht nicht leisten, Potenziale der jungen Generation zu verschenken“.

Azubis bei BMW in Leipzig. Der Anteil der 25- bis 34-Jährigen, die keinen Studien-, sondern einen beruflichen Abschluss vorweisen, ist zwischen 2015 und 2022 von 51 auf 38 Prozent zurückgegangen.
Azubis bei BMW in Leipzig. Der Anteil der 25- bis 34-Jährigen, die keinen Studien-, sondern einen beruflichen Abschluss vorweisen, ist zwischen 2015 und 2022 von 51 auf 38 Prozent zurückgegangen.

© dpa/Jan Woitas

Der Bund werde die Länder dabei weiter unterstützen, etwa mit dem Startchancen-Programm: „Damit wollen wir den großen Hebel ansetzen, um den noch immer starken Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft aufzubrechen“, sagte Brandenburg.

Natürlich ist jeder junge Mensch, der weder in Bildung noch in Beschäftigung ist, einer zu viel.

Torsten Kühne (CDU), Staatssekretär im Berliner Bildungsministerium

Berlins Staatssekretär in der Bildungsverwaltung, Torsten Kühne wies als Vertreter der Kultusministerkonferenz darauf hin, dass die Beschäftigungsquote der jungen Erwachsenen mit mittleren Qualifikationen mit 89 Prozent sehr hoch und noch einmal angestiegen sei. Beim reibungslosen Übergang von Ausbildung in den Arbeitsmarkt belege Deutschland bei den jungen Erwachsenen „international einen Spitzenplatz“.

Sorge bereite aber, dass der Anteil der gering qualifizierten Erwachsenen angestiegen ist. Mit Blick auf diese Gruppe müssten die Angebote der beruflichen Bildung weiter gestärkt werden. Dazu könne der Pakt für berufliche Bildung, den die Kultusministerkonferenz gemeinsam mit der Wirtschaft und weiteren Akteuren auf den Weg gebracht habe, weitere Impulse beitragen.

Zu den „Impulsen“ muss auch gehören, dass die Berufsberatung verbessert wird, steht für Stefan Spieker von der Berliner IHK fest. Er nannte die OECD-Zahlen ebenfalls „alarmierend“. Sie bestätigten, was die Unternehmen seit mehreren Jahren beobachteten: „Für immer mehr Jugendliche ist eine Ausbildung nicht attraktiv.“ Das könne Deutschland sich aber als Wirtschaftsstandort nicht leisten.

„Wir brauchen gut ausgebildete junge Menschen, sei es, um die Energiewende umzusetzen, die Digitalisierung zu schaffen, wir brauchen sie in der Pflege und in der Verwaltung, in allen Branchen“, sagte Spieker dem Tagesspiegel. Die duale Ausbildung müsse wieder bekannter und attraktiver werden bei den Schulabgängern. Dazu braucht es bessere Berufsorientierung, um sich in verschiedenen Berufen ausprobieren zu können.

Bei mehr als 30.000 IHK-Betrieben kam im letzten Jahr noch nicht einmal eine einzige Bewerbung an. 

Achim Dercks, Hauptgeschäftsführer der Deutschen IHK

Was der Mangel an Bewerbern konkret bedeutet, machte auch die Deutsche IHK deutlich. Bei mehr als 30.000 IHK-Betrieben sei 2022 noch nicht einmal eine einzige Bewerbung angekommen, erinnerte Hauptgeschäftsführer Achim Dercks den Befund einer Umfrage aus dem August. Er nannte die OECD-Trends aus Sicht der Unternehmen „besorgniserregend“. Eine zielgerichtete und ausgewogene Berufsorientierung müsse „dafür sorgen, dass Schulabgänger individuell ihre beste Berufswahl treffen“.

Als positiven Befund für Deutschland nennen die OECD-Autoren, dass 94 Prozent der jungen Erwachsenen erwerbstätig sind. Nur Island hat demnach eine noch höhere Beschäftigungsquote in dieser Gruppe. Zudem verdienen die 25- bis 34-Jährigen mit Berufsabschluss in Deutschland 67 Prozent mehr als junge Erwachsene ohne Berufsabschluss. Dieser Unterschied ist wesentlich höher als der durchschnittliche Verdienstvorsprung von 23 Prozent in der OECD. Allerdings schwindet dieser Vorsprung bei den älteren Jahrgängen, was laut OECD die Bedeutung von Fortbildungen in späteren Berufsjahren unterstreicht.

Geringere Arbeitslosenquote jüngerer Erwachsener in Deutschland

Zu den weiteren für Deutschland positiven Ergebnissen gehört, dass wesentlich weniger 18- bis 24-Jährige (8,6 Prozent) als im OECD-Durchschnitt (14,7 Prozent) zu der Gruppe derjenigen gehört, die weder in Ausbildung noch in Beschäftigung sind. Die Verringerung dieser Quoten unter jungen Erwachsenen sei aber „in allen Ländern eine besonders wichtige Herausforderung“, da die Betroffenen „später im Leben schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben“.

Weitere OECD-Ergebnisse im Überblick:

  • Die Ausgaben pro Schüler betragen in Deutschland 15.767 US-Dollar (USD). Das sind etwa 3100 USD mehr als der OECD-Durchschnitt. Mit 20.394 USD sind die Ausgaben vor allem in der beruflichen Bildung hoch. Allerdings investiert Deutschland im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt weniger in die Bildung (4,6 Prozent) als der OECD-Durchschnitt (5.1 Prozent).
  • Die Gesamtdauer des Pflichtunterrichts in der Schule variiert stark von Land zu Land. In der gesamten OECD beläuft sich die Stundenzahl des Pflichtunterrichts auf durchschnittlich 7634 Stunden, in Deutschland auf 7376 Stunden, ist also niedriger. Im Durchschnitt der OECD-Länder entfallen 25 Prozent der Pflichtstunden in der Grundschule auf Lesen, Schreiben und Literatur und 16 Prozent auf Mathematik, in Deutschland sind es 27 Prozent für das Lesen, Schreiben und Literatur und 21 Prozent für Mathematik.
  • Bei den Gehältern der Lehrer liegt Deutschland weit über dem OECD-Schnitt. Demnach verdienen deutsche Lehrer mit 15 Jahren Berufserfahrung kaufkraftbereinigt 96.742 USD (76.317 Euro), im OECD-Schnitt aber nur 53.456 USD.
  • Die Gehaltskosten für Lehrer je Schüler im Primarbereich liegen demnach in Deutschland bei 5441 USD und damit über dem OECD-Durchschnitt von 3614 USD. Dieser Unterschied lässt sich in die folgenden vier Faktoren aufschlüsseln: Höhere Lehrergehälter erhöhen die Kosten (um 2496 USD), unterdurchschnittliche Unterrichtsstunden erhöhen die Kosten (um 447 USD), unterdurchschnittliche Unterrichtszeit senkt die Kosten (um 458 USD) und größere Klassen reduzieren die Kosten (um 658 USD). Zwischen 2015 und 2021 stiegen die Gehaltskosten für Lehrkräfte pro Schüler in Deutschland um 15 Prozent von 4749 USD auf 5441 USD).

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false