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Die Reichstagskuppel zählt heute zu den begehrtesten Touristen-Attraktionen in Berlin.

© Thilo Rückeis

20 Jahre Berlin-Bonn-Gesetz: Blüm und Töpfer - Noch heute Nein- und Jasager

Als der Hauptstadtumzug von Bonn nach Berlin vor 20 Jahren debattiert wurde, waren Norbert Blüm und Klaus Töpfer Gegner. Und noch heute sind ihre Positionen nicht ganz vereinbar.

Der Neinsager sitzt im Erdgeschoss seines alten Hauses, zwischen Buchregalen und Wänden voller Bilder, nicht weit entfernt vom Bundeskanzleramt, und sagt immer noch Nein. Nur hat dieses Bundeskanzleramt die Bundeskanzlerin noch nie gesehen und einen Bundeskanzler schon lange nicht mehr. Norbert Blüm, der Neinsager, wohnt in der Bonner Südstadt, und das dortige Kanzleramt ist verwaist, seitdem die Bundesregierung ihren Sitz nach Berlin verlegt hat. Das Bonner Gebäude, das selbst den Neinsager und Bonn-Fan Blüm mit seiner schlichten, bungalowartigen Architektur eher an eine „Sparkasse“ erinnert, beherbergt das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Wenn es nach Norbert Blüm gegangen wäre, säße die Bundeskanzlerin heute in der Stadt am Rhein und nicht an der Spree. Vor allem nicht nahe dem Reichstag in jenem „unproportionalen und unförmigen Steinhaufen“, wie Norbert Blüm sagt: „Das ist doch ein Denkmal für die deutsche Zementindustrie.“ Das ist auch eine Spitze gegen Klaus Töpfer, dem ehemaligen Bundesbauminister und Umzugsbeauftragten, gegen Töpfer, den Jasager. Man merkt, Norbert Blüm kann sich immer noch aufregen. „Nein, Steinhaufen stimmt nicht“, das nimmt er zurück. Es ist ja auch nicht so, dass Blüm Berlin nicht mag. Im Gegenteil. Der „gelernte Rheinländer“, wie er sich selbst nennt, und gebürtige Hesse, war hier ab 1981 zwei Jahre lang Senator für Bundesangelegenheiten. Als Richard von Weizsäcker zum Regierenden Bürgermeister gewählt wurde, brachte er Blüm mit nach Berlin, das damals aufgerührt war von den Skandalen einer abgewirtschafteten SPD und der Hausbesetzer-Bewegung. Als ihn die Hausbesetzer mal aus einer Weddinger Kneipe vertreiben wollten, in deren Nähe er damals wohnte, hat die Wirtin ihn verteidigt: „Wer hier Bier bekommt, bestimme immer noch ich.“ Das hat Blüm imponiert.

Doch beim Umzug der Bundesregierung in dieses Berlin hat der langjährige Bundesminister Nein gesagt, ebenso resolut. Blüm war an jenem 20. Juni 1991 im Bundestag der Wortführer der unterlegenen Bonn-Befürworter. Auch 20 Jahre danach meint er, im wesentlichen recht behalten zu haben. „Ein Gegeneinander ist es nicht, aber ein sehr intensives Miteinander schon deshalb nicht, weil Berlin doch sehr egozentrisch ist“, sagt er über das Verhältnis zwischen Bonn und Berlin. „Es ist, wie ich befürchtet habe, ein Metropolensog entstanden. Wer in dieser Republik mitspielen will, der meint, er müsse nach Berlin“, räsoniert der Mann, der in seiner Partei den Ruf weg hat, ein Herz-Jesu-Marxist zu sein und der taz vor einigen Jahren auf die Frage, ob er links sei, antwortete: „Ich hoffe ja.“

Der Jasager hingegen hätte beinahe in Berlin noch eine dritte Karriere machen können. Wenn er gewollt hätte. 2006 sollte Klaus Töpfer für die CDU gegen Klaus Wowereit in den Wahlkampf ziehen. Er hat abgelehnt, weil er nach acht Jahren als Direktor des UN-Umweltprogramms in Kenia sich nicht nah genug an den Berliner Problemen fühlte. Der Jasager fühlt sich von der Entwicklung Berlins bestätigt – und begeistern kann er sich auch für die Stadt. „Ist doch doll hier“, sagt Klaus Töpfer beim Gang über den Gendarmenmarkt. Als er vor wenigen Tagen den Bericht der Ethik-Kommission zum Atomausstieg im Bundeskanzleramt abgegeben hat, da habe er „das Bauwerk auch mit den Augen dessen betrachtet, der einmal für den Umzug verantwortlich war.“ Man kann das Genugtuung nennen. Schließlich hat er wesentlichen Anteil, dass hier am Spreebogen mit dem Band des Bundes und dem Reichstag das Zentrum der deutschen Politik entstanden ist, das weltweit zum Symbol der Republik geworden ist. „Wenn ich heute im Regierungsviertel bin, dann sage ich mir, das ist in Ordnung, das würde ich heute genau so wieder machen“, sagt der 73-Jährige. Erst kürzlich hat er sich mit seiner Frau eine Wohnung in Kreuzberg gekauft. Berlin ist der Bezugspunkt Töpfers. Wenn man so will, auch er ist ständig in Bewegung – am Vormittag in der Senatssitzung der Berlin-Brandenburger Akademie der Wissenschaften, am Nachmittag in Potsdam als Direktor des Instituts für Klimawandel und danach im Flugzeug nach China, wo er in Schanghai eine Professur hat.

Lesen Sie auf Seite zwei, warum die damalige Debatte zu einer der Sternstunden des Bundestags gezählt werden kann.

"Berlin ist doch sehr egozentrisch. Regionale Zentren sind geschwächt", sagt Norbert Blüm.
"Berlin ist doch sehr egozentrisch. Regionale Zentren sind geschwächt", sagt Norbert Blüm.

© Mike Wolff

"Ein Beschluss für Bonn wäre das falsche Signal gewesen", sagt Klaus Töpfer.
"Ein Beschluss für Bonn wäre das falsche Signal gewesen", sagt Klaus Töpfer.

© Kai-Uwe Heinrich

„Eine Entscheidung für Bonn wäre ein gänzlich falsches, nämlich nach hinten weisendes Signal gewesen“ – darin fühlt er sich 20 Jahre nach dem Umzugsbeschluss des Bundestages am 20. Juni 1991 nachdrücklich bestätigt. Die damalige Debatte kann zu einer der wirklich seltenen Sternstunden des Bundestags gezählt werden; über elf Stunden wurde über das „Berlin/Bonn-Gesetz“, wie es offiziell hieß, debattiert – 114 Abgeordnete redeten, weitere 59 gaben ihre Rede aus Zeitmangel nur zu Protokoll. Am Ende gab es 338 zu 320 Stimmen für Berlin.

Es war die Rede des damaligen Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble, der mit Prägnanz und Leidenschaft dann doch noch überraschend die Stimmung zugunsten Berlin erzwang. Dass Bonn, die deutsche Behelfshauptstadt des Nachkriegsdeutschlands bei der Entscheidung in ernsthafter Konkurrenz zu Berlin stand, das „war für mich schon damals nicht nachvollziehbar“, sagt Töpfer, der damals Abgeordneter und Bundesumweltminister war. „Vor dem Hintergrund der Entwicklung der deutschen Einheit wird es mir noch unverständlicher.“

In den Monaten vor der Abstimmung war immer erbitterter darum gestritten worden, ob die deutsche Hauptstadt Berlin auch Sitz der Bundesregierung werden sollte. „Die Teilung muss auch durch Worthalten überwunden werden“, hatte Alt-Bundeskanzler Willy Brandt mit Verweis auf die vielen Solidaritätsadressen für Berlin während der Mauerzeiten gemahnt und visionär schon mit der europäischen Ost-Erweiterung argumentiert. Doch mehrheitsfähig war Brandt nicht einmal in seiner eigenen SPD; auf dem Bremer Bundesparteitag 1991 unterlag Berlin bei den Delegierten mit einer Stimme. Und in Bonn gingen die Berlin-Gegner jede Woche auf die Straße und machten Druck, flankiert von abenteuerlichen Gutachten, die mit Umzugskosten von 60 Milliarden Mark unkten. Selbst Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der an die Politik appellierte, „wir dürfen uns nicht im Westen einmauern“, fand nur begrenzte Zustimmung in seiner CDU. Um Konfrontationen abzubauen und eine schroffe Niederlage zu vermeiden, machte der jetzige Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler den schnell abgeschmetterten Vorschlag, Parlament und Regierung zwischen Bonn und Berlin aufzuteilen. Wenige Tage vor der Abstimmung vertrat Innenminister Schäuble kurzzeitig gar die Position, wegen der harten Fronten die Entscheidung um vier Jahre zu verschieben.

Was fort ist, ist fort, sagt Norbert Blüm. Die historische Niederlage, die der stämmige, kleine Mann damals im Bonner Wasserwerk, in dem 1991 der Bundestag tagte, erleben musste, sie ist überwunden. Nein, keinen Finger würde er heute noch krumm machen, um den Beschluss zu revidieren. So seien die Rheinländer. Die hätten ein „großes Maß an Gelassenheit, dass der Berliner Republik fehlt.“ Da seien die Berliner von ganz anderem Holz. „Ich bin sicher, wenn die Rheinländer ein paar Stimmen mehr gehabt hätten, dann würde heute noch in Berlin nachgetreten.“

„Ersparen wir Berlin den Weg in eine Megastadt“, hat Blüm damals in der Debatte gesagt. Das wurde vielfach als vergiftetes, unehrliches Argument gesehen. Das ficht Blüm bis heute nicht an, „der Umzug hat den Föderalismus geschwächt“, sagt er nun. Die Hauptstadt Bonn sei eine Stadt unter vielen gewesen, Berlin dagegen ist Metropole, ob in Kunst oder Wissenschaft. „Das schwächt die regionalen Zentren.“

Recht häufig ist der Ex-Minister in Berlin – und ärgert sich immer wieder über die „Repräsentativbauten, die nicht sehr eindrucksvoll sind“. Meint er. „Der Bonner mag keine Paraden, außer wenn es Karnevalsparaden sind“, ätzt der 75-Jährige. „Die Bonner Republik hat das Kunststück fertiggebracht, bescheiden und selbstbewusst zugleich zu sein. Die hat keinen Trommelwirbel und Wachparade gebraucht“, antwortet er auf die Frage, ob die Hauptstadt Berlin heute für die Welt der angemessene Ausdruck einer demokratisch gefestigten, friedfertigen Republik ist.

Eindeutig für Berlin sei er, Klaus Töpfer, gewesen. Aber mit Verständnis für die „aus der Geschichte der Bundesrepublik gewachsenen Bindungen und Verpflichtung gegenüber der Stadt Bonn und der Region.“ Folgerichtig war der Umzugsminister, der ab 1994 mit der Aufgabe betraut wurde, auch Beauftragter für den Ausgleich für die Stadt Bonn. Mit 1,4 Milliarden Euro für Infrastrukturprojekte oder die Ansiedlung von UN-Einrichtungen ist Bonn für den Verlust des Regierungssitzes entschädigt worden – Geld, das Bonn klug für einen einen erfolgreichen Strukturwandel genutzt hat.

Der Neinsager ist dem Jasager nicht aus dem Weg gegangen. „Ich trage ihm nichts nach, weil ich Töpfer sehr schätze.“ Aber begegnet sind sie sich zuletzt 2005, fern der Heimat, in Nairobi, ganz zufällig. Der Jasager residierte dort acht Jahre lang als UN-Direktor für das Umweltprogramm. Nach Afrika war der populäre Töpfer Anfang 1998 vom machtbewussten Helmut Kohl weggelobt worden, noch vor dem Umzug von Regierung und Parlament.

Ein Kompliment hat der Neinsager immerhin noch für den Jasager: Er sei ja anfänglich auch gegen eine Kuppel auf dem Reichstag gewesen – „einer, wie ich glaubte, wilhelminischen Haube“. Doch die Kuppel strahle „eine spielerische Transparenz aus“. Und einer Meinung sind beide sogar, was die Bürokratie und den fehlenden Reformwillen angeht. „Der bürokratische Unterbau hat doch mit der Gesetzgebung oder politischen Planung überhaupt nichts zu tun, dass muss doch nicht alles in Berlin sein“, sagt Norbert Blüm. „Wir sollten sachlich ermitteln, welche Aufgaben auch an anderen Orten und nicht zwingend in Berlin bearbeitet werden können“, formuliert Töpfer als Richtschnur für die weitere Debatte: „Die sachliche Diskussion ist leider stets durch emotionale Momente überdeckt worden.“

Lesen Sie auf Seite drei, warum der Widerstand gegen den Umzug längst nicht beendet war.

Dass der Widerstand gegen den Umzug mit der Abstimmung längst nicht beendet war, mussten die Berliner bald erfahren. Bundesbauministerin Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP), zuvor beinharte Bonn-Lobbyistin, machte den hinhaltenden Dissens zur Grundlage ihrer Arbeit und fand mit Bedacht immer neue Probleme. Schon bald war klar, dass der Beschluss, die Arbeitsfähigkeit des Bundestags innerhalb von vier Jahren herzustellen, nicht zu erreichen war – erst 1994 wurde das „Bonn-Berlin-Gesetz“ mit der Aufteilung der Ministerien offiziell verabschiedet. Adam-Schwätzer etwa lehnte die Nutzung von Altbauten mit dem Hinweis ab, diese seien aus DDR- und NS-Zeiten „historisch kontaminiert“ und verfolgte eine rigorose und enorm teure Neubauplanung. Erst ihr Nachfolger Klaus Töpfer brachte ab 1994 wieder Zug in den Umzug. Am Ende zogen Parlament und Bundesregierung im Sommer 1999 in die Hauptstadt. „Das schwerste war eigentlich, den Umzug in die Köpfe der Mitarbeiter in den Ministerien zu bringen, diese mentale Umzugssperre zu lösen und Vertrauen zu bilden, dass in Bonn nicht die Grundstückspreise verfallen, das Haus nicht mehr zu verkaufen ist und die Frau beim Umzug ihren Job zurücklassen muss.“

Einen Paradigmenwechsel setzte Töpfer auch bei den Standorten durch. Die allermeisten Ministerien wurden in sanierten Altbauten untergebracht – das Wirtschaftsministerium zog ins DDR-Regierungskrankenhaus, das Finanzministerium ins DDR-Haus der Ministerien. Auch das Außenministerium verzichtete nach anfänglichem Sträuben auf einen kompletten Neubau und zog in die ehemalige Reichsbankzentrale. „Wenn wir mit Hinweis auf kontaminierte Gebäude etwas abreißen, dann haben wir die Auseinandersetzung mit der Geschichte bereits verloren“, sagt Töpfer im Rückblick. Mit dieser Position hat er sich auch dem Dialog mit der jüdischen Gemeinde gestellt und fand dort Unterstützung. Neu gebaut wurde nur das Band des Bundes mit dem Bundeskanzleramt und den Blöcken für die Abgeordneten und der Bundestagsverwaltung neben dem mit der modernen Kuppel gekrönten Reichstag sowie ein Anbau für das Außenministerium.

Nein, nicht mit allen Befürchtungen habe er recht behalten, gibt Neinsager Blüm zu. Nicht erfüllt habe sich seine Erwartung, dass Berlin die Bundesregierung nicht brauche, weil die Hauptstadt auch so binnen kurzem das wirtschaftliche Zentrum Deutschlands werden würde. Stattdessen ist Berlin zwanzig Jahre nach dem Bonn-Berlin-Beschluss immer noch das Armenhaus der Republik, mit einer Arbeitslosigkeit, die mehr als doppelt so hoch ist wie die in Bonn. Die Bundesstadt am Rhein hingegen boomt auch ohne Bundesregierung und hat mit den Zentralen von Telekom und Post gleich zwei Dax-Konzerne als Job-Motoren.

Die Vollendung der Einheit durch den Umzug in die Stadt, die in den Jahren der Teilung das Symbol des gemeinsamen Deutschlands war, sei für ihn das stärkste Argument gewesen, gibt Blüm zu. Deswegen hätten die Bonn-Befürworter auch angeboten, Berlin zum Sitz des Bundespräsidenten und des Bundesrats zu machen. Als Trostpreis. Und hat der Umzug die Einheit vorangebracht und befördert? „Wir können den Film nicht zurückdrehen, um das zu beurteilen“, antwortet er ausweichend. Entscheidender sei für ihn, dass es immer noch ein großes wirtschaftliches Gefälle zwischen Ost und West gebe. Der Umzug der Bundesregierung immerhin sei „gut gelungen“, attestiert er seinem Parteifreund Klaus Töpfer, inklusive der „logistischen Meisterleistung“, mit der die Schreibtische und Akten nach Berlin gebracht wurden.

„Hätte, hätte, Fahrradkette, sagt immer meine Tochter“, erwidert Töpfer auf die Frage, was aus Berlin geworden wäre, wenn Bonn obsiegt hätte. „Es ist anders gekommen und es ist gut so gekommen. Ich habe Freude dran gehabt, bei dieser historischen Zeit eine Verantwortung mittragen zu dürfen.“ Dass der Umzug noch nicht am Endpunkt ist, befürchtet der Neinsager und glaubt der Jasager. „Was wirklich politische Entscheidungsrelevanz hat, muss und wird in Gänze in Berlin sein“, sagt Töpfer.

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