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Eine Sondermarke für Bismarck.

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200 Jahre Eiserner Kanzler - eine Nachlese: Otto von Bismarck taugt nicht als Vorbild

Otto von Bismarck wurde vor 200 Jahren geboren. Zum Festtag wurde er gelobt - als Vorbild, als beispielhaft, als Stifter des Nationalstaats. Und als großer Außenpolitiker. Zu viel der Ehre.

Die Bismarck-Woche ist vorbei. Viele werden sie gar nicht mitbekommen haben. Oder erst demnächst merken, dass der einstmals vergötterte Reichskanzler am 1. April vor 200 Jahren geboren wurde, wenn sie die aktuelle Sonderbriefmarke sehen. Zum Geburtstag am Mittwoch hat es einen Festakt gegeben, im Deutschen Historischen Museum, mit einem Grußwort des Bundespräsidenten und einer Rede des Bundesfinanzministers. Zum Einstieg in die Jubiläumswoche legte ein später Nachfolger im "Spiegel“ seine Bismarck-Deutung dar. Es war merkwürdig: Während Bismarcks Bedeutung im Geschichtsbild der Deutschen zu verglühen scheint, versuchten Gerhard Schröder, Joachim Gauck und Wolfgang Schäuble, alle drei jenseits der 70, alle drei offenbar „Bismarck-Versteher“, so etwas wie eine Ehrenrettung des „Eisernen Kanzlers“.

„Beispielhaft“ nannte ihn der Bundespräsident, der betonte, man könne von Bismarck lernen, wie man sich mit Tatkraft und Optimismus den Herausforderungen stellt. Bismarck habe die Nation geschaffen, meint Schäuble, und sein Leben habe eine Konstante gehabt: das Ringen um beständige Ordnungen. Und Schröder? Er sieht in Bismarck „einen der ganz Großen der deutschen Geschichte“, eine „vorbildliche Figur“. In der politischen Klasse, so scheint es, hat der preußische Staatsmann derzeit ein gutes Standing. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat in dieser Tage sehr milde und freundlich beurteilt.

Spalterische Methoden

Nun ist der Innenpolitiker Bismarck freilich kaum noch zu rechtfertigen angesichts seiner vielfältig manipulativen, spalterischen Methoden, seiner aggressiven Ausgrenzungspolitik gegen alle „Reichsfeinde“, Katholiken, Sozialisten, Linksliberale, Polen. Die Einführung von demokratischem Männerwahlrecht und der Sozialversicherung hält man ihm zugute, aber auch sie waren für Bismarck nur taktische Mittel – er war weder Demokrat noch Arbeiterfreund. Und auch der Außenpolitiker Bismarck taugt nicht zum Vorbild (allenfalls für einen Manipulator wie Wladimir Putin).

War das wirklich ein Leben für Ordnungen? Bismarck hat, beginnend schon als preußischer Gesandter beim Frankfurter Bundestag (dem Vorgänger des Bundesrats), erst Deutschland in Unordnung versetzt und dann ganz Europa – stets mit dem einen Ziel vor Augen, dem weiteren Aufstieg Preußens als Großmacht, wie sie unter Friedrich II. hundert Jahre zuvor begonnen hatte. Mit derselben Rücksichtslosigkeit, zu der die stete Kriegsbereitschaft gehörte. Dafür musste Österreich aus dem Deutschen Bund „gewichen“ werden, wie Bismarck es formulierte, und dafür musste das Dritte Deutschland (also die Mittel- und Kleinstaaten) unter die Berliner Knute kommen.

Bismarck-Denkmal in Berlin.
Bismarck-Denkmal in Berlin.

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Deutschland war das Mittel zum großpreußischen Zweck. Dafür zerstörte Bismarck, im Verein mit seinem König und den preußischen Militärs und unter dem Jubel der kleindeutschen Nationalisten (die in Bismarcks Programm statt Preußen einfach Deutschland lasen), die europäische Staatenordnung jener Zeit, die auf dem Gleichgewicht der Kräfte beruhte. Und zwar zweifach: dem Gleichgewicht innerhalb des Deutschen Bundes mit seinen drei Polen (Österreich, Preußen und den Mittelstaaten) und dem Gleichgewicht im europäischen Mächtekonzert, das keineswegs allein auf den Ausgleich zwischen den fünf Großmächten England, Frankreich, Russland und eben Österreich und Preußen gebaut war. Sondern auch darauf, dass diese fünf Mächte den Rest Europas nicht allein als potenzielle Verschiebemasse betrachteten, sondern in ihre Gleichgewichtspolitik einbanden. Neben dem Deutschen Bund bestand so auch eine Art europäischer Bund. Beide hat Bismarck zerstört, auch wenn er das natürlich nicht alleine schaffte: in Paris, in London, in Petersburg, in Italien, auf dem Balkan wurde mitgearbeitet, und sei es nur durch Passivität.

Kitten, was zerbrochen war

Bismarcks Außenpolitik nach 1871 war keine bewundernswerte Friedenspolitik, sondern der Versuch, die Ruhe nach dem selbst entfachten Sturm zu organisieren. Bismarck musste kitten, was er in drei Kriegen zwischen 1864 und 1870 zerbrochen hatte. Seine Bündnispolitik scheiterte jedoch – eben weil sie keine Gleichgewichtspolitik war. Seine Nachfolger setzten wieder auf Krieg. Und so führt durchaus ein Weg von Bismarck zu Hitler – deren Ahnherr Friedrich II. war mit seiner Politik der hemmungslosen Machterweiterung. Der Geist des preußischen Militärstaats gehörte zum deutschen Nationalstaat von 1871 bis 1945. Erst danach kam Deutschland wieder zu sich.

Nicht 1871 und Bismarcks Taten sollten daher der hauptsächliche Bezugspunkt sein, wenn man denn vom deutschen Nationalstaat reden will. Auch nicht 1848, was ja eine Möglichkeit ist. Beide Daten, die in einem inneren Zusammenhang stehen, markieren letztlich Fehlschläge. Nein, das entscheidende Jahr ist 1949. Die erfolgreiche Nationalstaatsbegründung geschah nicht als Ergebnis von Kriegen, sondern aus der ernüchternden Erfahrung von Kriegen.

Es war übrigens eine Gründung von den Ländern her, also ganz in der föderalen deutschen Tradition, die weit älter ist als Bismarcks Verfassung, die den Föderalismus hegemonial verbog. Und sie wurde in eine wirksame europäische Staatenordnung eingebunden. 1990 war somit keine Neubegründung, keine Rückkehr zu dem Nationalgebilde, das man mit dem Jahr 1871 verbindet. Sondern die Erweiterung, die Komplettierung dessen, was gut vierzig Jahre zuvor entstanden war. Wenn man es so sieht, muss man sich auch nicht mehr damit quälen, einen Mann wie Bismarck historisch schön zu reden.

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