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80 Jahre nach Auschwitz-Befreiung: Steinmeier mahnt zur Verantwortung und Erinnerung an NS-Verbrechen
Bundespräsident, Regierungsmitglieder und Zivilgesellschaft betonen die Bedeutung der Erinnerung an die NS-Verbrechen. Ihre Appelle richten sich vor allem an die junge Generation.
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Zum 80. Jahrestag der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Auschwitz hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dazu aufgerufen, die Erinnerung an die Verbrechen und Opfer der Nationalsozialisten wachzuhalten. „Erinnerung kennt keinen Schlussstrich und Verantwortung deshalb auch nicht“, sagte Steinmeier am Montag bei einem Besuch der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau in Polen.
Steinmeier verwies auf einen Anstieg antisemitischer Straftaten in Deutschland, insbesondere seit dem Angriff der Hamas auf Israel im Jahr 2023 und dem darauffolgenden Krieg in Gaza. „Nichts zeigt deutlicher, dass Erinnerung kein Ende kennt und deshalb Verantwortung keinen Schlussstrich“, sagte er.
Im Konzentrationslager Auschwitz wurden zwischen 1940 und 1945 mindestens 1,1 Millionen Menschen ermordet. Das Lager wurde zum Symbol der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Am 27. Januar 1945 wurden die letzten Gefangenen, die nicht auf die Todesmärsche getrieben wurden, von der sowjetischen Roten Armee befreit.
Es ist jetzt an uns, unseren Generationen, ihre Mahnung und ihre Erwartung an die nächste Generation weiterzureichen.
Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident
Steinmeier sagte, Auschwitz stehe „für die Monstrosität eines beispiellosen Menschheitsverbrechens“. Steinmeier würdigte auch die Überlebenden, die es in den vergangenen Jahrzehnten auf sich genommen hätten, ihre Erlebnisse und Geschichten an die nächste Generation weiterzugeben.
Viele von ihnen lebten nicht mehr. „Es ist jetzt an uns, unseren Generationen, ihre Mahnung und ihre Erwartung an die nächste Generation weiterzureichen“, sagte der Bundespräsident.
Neben Steinmeier nahmen auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (beide Grüne) in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau an der zentralen Gedenkfeier teil.

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Scholz rief dazu auf, sich stärker um die Erinnerung der jüngeren Generation an den nationalsozialistischen Völkermord an den Juden zu bemühen. Mit Blick auf die abnehmende Zahl der Zeitzeugen wurde zudem ein Ausbau der Erinnerungskultur gefordert. Dazu gehörten auch verpflichtende Besuche von Gedenkstätten unter anderem für Schülerinnen und Schüler.
Zuvor nannte er es in einem Interview „wichtig, dass wir möglichst vielen jungen Menschen ermöglichen, mit den noch lebenden Zeitzeugen zu sprechen“. Das Interview führten die Neue Berliner Redaktionsgesellschaft, die „Stuttgarter Zeitung“ und die „Stuttgarter Nachrichten“.
Ihr seid klüger, ihr habt gelernt, ihr wisst, was Menschlichkeit ist, was sich gehört, was wir sind.
Margot Friedländer, Überlebende des Holocaust
Auch die 103-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer setzt im Kampf gegen Hass und Hetze auf die junge Generation. Damals, im Nationalsozialismus, hätten die Menschen „gejubelt, weil sie nicht wussten, wofür“, betonte Friedländer: „Ihr seid klüger, ihr habt gelernt, ihr wisst, was Menschlichkeit ist, was sich gehört, was wir sind.“
Staatsministerin Claudia Roth (Grüne) erklärte: „Auschwitz steht auch für die Besetzung und brutale Unterdrückung Polens durch das nationalsozialistische Deutschland.“ Die deutsche Besatzungsherrschaft in ganz Europa sei in ihrem ganzen Ausmaß der Verbrechen bislang immer noch zu wenig bekannt und sollte viel stärker Teil der kollektiven Erinnerung werden.
Schoah-Überlebender Marian Turski ruft zu Mut auf
Der Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Marian Turski, hat dazu aufgerufen, sich mutig Verschwörungsmythen und Antisemitismus entgegenzustellen.
Das gelte, wenn etwa gesagt werde, alles Böse in der Welt rühre von einer angeblichen Verschwörung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen her, zum Beispiel der Juden, sagte der 98 Jahre alte Überlebende am Montag bei einer Veranstaltung in der Gedenkstätte Auschwitz am 80. Jahrestag der Befreiung des früheren NS-Konzentrationslagers.

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Turski forderte Mut auch in anderen Bereichen. So solle man mutig auftreten, wenn die Hamas die Massaker leugne, die sie am 7. Oktober 2023 in Israel anrichtete. Die Menschen sollten sich überdies immer wieder selbst davon überzeugen, dass sie Probleme zwischen Nachbarn lösen könnten. Vorurteile und Hass hätten immer wieder zu bewaffneten Konflikten geführt. „Das alles endete immer mit Blutvergießen.“
Historiker Wolfssohn gegen „salbungsvolle Rituale“
Der Münchner Historiker Michael Wolfssohn sprach sich gegen „salbungsvolle Rituale“ aus. Er sagte in Magdeburg bei der zentralen Gedenkveranstaltung des Landes Sachsen-Anhalt, Erinnerung sei unverzichtbar: „Auch ohne Ritual und Zeitzeugen weiß man, wer oder was Caesar oder die Kreuzzüge waren“, so der Historiker: „Sollte ausgerechnet das Menschheitsverbrechen Auschwitz beziehungsweise Holocaust eines Tages vergessen werden? Unvorstellbar.“
Die Bundesschülerkonferenz forderte für Schülerinnen und Schüler verpflichtende Gedenkstättenbesuche. Hintergrund seien „erschütternde Zahlen“ zum Wissen über den Holocaust bei den 18- bis 29-Jährigen in Deutschland, teilte die ständige Konferenz der Landesschülervertretungen in Berlin mit.
Die Verfolgung von Menschen mit Behinderung wird nach Ansicht des Sozialverbandes VdK beim Gedenken noch immer nicht hinreichend berücksichtigt. „Die systematische Ermordung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderung war eine der dunkelsten Stunden in der Geschichte, geprägt von unermesslicher Behindertenfeindlichkeit“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. (epd, KNA, dpa)
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