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Al-Kaida-Chef Osama bin Laden (Archivbild von 1998).

© dpa/AP/Mazhar Ali Khan

Abschiebung eines Islamisten: Wie konnte es zum Chaos um Sami A. kommen?

Das Vorgehen der Behörden bei der Abschiebung des mutmaßlichen Ex-Leibwächters von Osama bin Laden wirft Fragen auf. Obwohl die Abschiebung tagelang geplant war, wurde das Gericht offenbar nicht informiert.

Der Fall Sami A. wird die Republik wohl noch lange beschäftigen. Der mutmaßliche Ex-Leibwächter des getöteten Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden war am Morgen des vergangenen Freitags von Düsseldorf nach Tunesien abgeschoben worden. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte am Vorabend allerdings ein Abschiebeverbot verhängt, da Sami A. in Tunesien Folter drohen könne. Es verfügte dann, Sami A. sei „unverzüglich“ nach Deutschland zurückzuholen. Die Abschiebung sei „grob rechtswidrig“. Der zuständige nordrhein-westfälische Flüchtlingsminister Joachim Stamp von der FDP kündigte wiederum Beschwerde gegen die Entscheidung an. Zugleich reklamiert die tunesische Justiz die Zuständigkeit für Sami A. für sich.

Die große Frage ist: Wie ist so ein Chaos überhaupt möglich? Aufschluss gibt unter anderem eine minutiöse Chronik des Präsidenten des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichts, Bernhard Fessler.

Um zu verstehen, was sich abgespielt hat, muss man wissen: Zu Sami A. liefen an dem Gelsenkirchener Gericht mehrere Verfahren, es waren zwei Kammern involviert: Die 7a. Kammer – zuständig für Asylrecht – und die 8. Kammer – zuständig für Ausländerrecht. Letztere beschäftigte sich mit der Frage, ob eine Abschiebeandrohung gegen Sami A. seitens der Ausländerbehörde rechtens war. Das bejahte die Kammer am vergangenen Mittwoch. „Dass eine solche Androhung rechtmäßig ist, heißt aber mitnichten, dass jemand auch tatsächlich abgeschoben werden kann. Beide Fragen sind völlig unabhängig voneinander“, sagt Gerichtssprecher Wolfgang Thewes.

Bamf gab keine „Stillhaltezusage“

Mit der Frage, ob Sami A. nach Tunesien abgeschoben werden darf, beschäftigte sich die 7a. Kammer. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte zuvor entschieden, dass er nach Tunesien abgeschoben werden könne, weil sich die Menschenrechtslage dort geändert habe und ihm keine Folter drohe.

Am Mittwoch vergangener Woche meldet sich das Gericht also beim Bamf. Es fragt nach, ob es stimme, dass schon für Donnerstagabend die Abschiebung Sami A.s geplant sei. Das Gericht fordert vom Bamf eine „Stillhaltezusage“ – also dass Sami A. nicht abgeschoben werde, bevor das Gericht entschieden habe. Andernfalls werde man einen sogenannten vorläufigen Beschluss fassen, um nicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Das Bamf antwortet am Donnerstag und bezieht sich auf das Landesflüchtlingsministerium. Dieses hätte mitgeteilt, der Abschiebeflug für Donnerstagabend sei storniert worden. Eine „Stillhaltezusage“ gibt das Bamf nicht.

Ein Flugzeug steht auf dem Flughafen Düsseldorf auf dem Vorfeld.
Ein Flugzeug steht auf dem Flughafen Düsseldorf auf dem Vorfeld.

© dpa

Daraufhin sieht sich das Gericht genötigt, einen vorläufigen Beschluss zu fassen. Sami A. dürfe nicht nach Tunesien abgeschoben werden, heißt es darin. Eine „diplomatisch verbindliche Zusicherung“, dass Sami A. bei seiner Rückkehr keine Folter drohe, liege nicht vor. Eine entsprechende Erklärung des tunesischen Ministers für Menschenrechte sei nicht gegenüber staatlichen Stellen, sondern allein gegenüber einem deutschen Presseorgan gegeben worden – gemeint ist offenbar die „Bild“.

Gericht fühlt sich in die Irre geführt

Der Beschluss wird am Donnerstag um 19.20 Uhr in der Geschäftsstelle des Gerichts hinterlegt. Dort ist aber niemand mehr, die Mitarbeiter haben Feierabend.

Am Freitagmorgen wird der Beschluss per Fax verschickt . Da ist der Flieger mit Sami A. bereits in der Luft. Das Gericht ruft kurz darauf bei der Ausländerbehörde an: Sami A. sei sofort zurückzufliegen, sollte er sich noch im Transitbereich des Flughafens in Tunesien befinden. Von der Ausländerbehörde heißt es: „Derzeit keine Kenntnis von den Flugdaten“.

Beantworten Sie die Fragen und machen Sie mit bei der Aktion "Deutschland spricht":

Das Gericht fühlt sich in die Irre geführt. „Das Bamf hat den Eindruck erweckt, es werde keine Abschiebung geben, bevor das Gericht über deren Rechtmäßigkeit entscheidet“, kritisiert Gerichtssprecher Thewes. Man könne nun zwar argumentieren, dass das Abschiebeverbot zum Zeitpunkt der Abschiebung noch nicht rechtskräftig war, weil der Beschluss noch in der Poststelle des Gerichts lag. „Aber nachdem der Beschluss verschickt worden war, hätte die Ausländerbehörde die Abschiebung sofort abbrechen müssen.“ Zumal die Abschiebung jetzt nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, wenn Tunesien sich weigere, Sami A. herauszugeben.

Warum die Behörden das Gericht bis zuletzt nicht über die geplante Abschiebung informierten, ist bislang unklar. Die Bundespolizei jedenfalls habe die Abschiebung schon am 9. Juli und damit vier Tage zuvor organisiert, teilte das Präsidium am Montag mit. „Das Bundespolizeipräsidium bestätigte dem Land Nordrhein-Westfalen am gleichen Tag den angefragten Flug für den 13. Juli 2018.“ Am selben Tag wurde auch das Auswärtige Amt informiert, das um die Genehmigung der tunesischen Behörden bat. NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) hat die Abschiebung von Sami A. trotz der Vorwürfe verteidigt.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der persönlich über die Pläne für die Abschiebung informiert war, sollte Stamp eigentlich am Dienstag treffen. Dabei sollte es auch um die Abschiebung islamistischer Gefährder gehen. Das Treffen wurde aber kurzfristig abgesagt.

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