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Abtreibungsrecht

© dpa

Abtreibungsrecht: Viva España

Hunderttausende demonstrierten in Madrid gegen eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Es ist nicht die erste Reform der sozialistischen Regierung, die auf Widerstand stößt. Wie verhärtet sind die Fronten?

Manche tragen Plastikbabys in den Armen. Bei anderen baumeln kleine Kunststoff-Embryonen an roten Bändchen am Hals. Fotos von Schwangeren und Föten werden in die Höhe gereckt. „Leben ja, Abtreibung nein“, rufen hunderttausende Menschen in der City der spanischen Hauptstadt Madrid.

Darunter viele Familien, die mitsamt großer Kinderschar angerückt sind. Die Massen demonstrieren gegen die geplante Liberalisierung der Abtreibung in dem immer noch sehr katholischen Land im Süden Europas. Die Regierung des Sozialdemokraten Jose Luis Zapatero hat die Erleichterung des Schwangerschaftsabbruchs bereits beschlossen, auch die (knappe) Zustimmung des Parlamentes gilt als sicher. „Niemand wird die Änderungen aufhalten“, bekräftigte Zapatero seinen Kurs zur Modernisierung des spanischen Königreiches.

Doch der „Marsch für das Leben“, der nach Angaben der Polizei 250 000 laut Organisatoren sogar zwei Millionen Menschen gegen Zapatero auf die Straße brachte, symbolisiert die Spaltung des Landes in der umstrittenen Abtreibungsfrage. Zugleich ist es eine der größten Demonstrationen, die Zapatero, der mit gesellschaftlichen Reformen wie der Homo-Ehe oder Express-Scheidungen das Land schon früher in Wallungen brachte, bisher ertragen musste.

Rund die Hälfte der 47 Millionen Spanier unterstützt Umfragen zufolge die geplante Fristenlösung, welche über die Regeln der meisten europäischen Länder hinausgeht: Sie gibt in den ersten 14 Wochen den Frauen das Recht, allein über den Abbruch zu entscheiden. Die anderen 50 Prozent der Bevölkerung haben Bedenken oder sind ganz dagegen. Vor allem, dass sogar Minderjährige ab 16 Jahren ohne Erlaubnis oder auch nur Information der Eltern abtreiben dürfen, ist – sogar in Zapateros Partei – umstritten.

„Für das Leben, die Frau und die Mutterschaft“, steht auf einem der Haupttransparente an der Spitze des Protestzuges. „Stoppt den Holocaust des 21. Jahrhunderts“, auf einem anderen. Spaniens katholische Bischöfe, die zum Widerstand aufriefen, aber nicht mitmarschierten, geißeln die Abtreibung als „Verbrechen“. Spaniens konservative Volkspartei, die den Protest gleichfalls unterstützte, will das Verfassungsgericht anrufen, um das Gesetz zu verhindern.

Dabei kann bisher in Spanien schon jede Frau, die keinen ungeplanten Nachwuchs will, die Schwangerschaft beenden – wenngleich das mit erheblichen Hürden verbunden ist. Offiziell ist zwar nach dem Gesetz aus dem Jahr 1985 der Abbruch nur in schweren Fällen wie nach Vergewaltigung, bei Missbildung oder Risiken für die Mutter möglich. In der Praxis wurde jedoch in privaten Abtreibungskliniken die „Gefahr für die physische oder psychische Gesundheit“ der Frau großzügig interpretiert, zumal bisher keine klaren gesetzlichen Fristen für den Eingriff festgelegt waren.

Derzeit werden mit annähernd 120 000 Abbrüchen pro Jahr im katholischen Spanien etwa genauso viele Fälle verzeichnet wie im wesentlich bevölkerungsreicheren Deutschland. Die lockere Auslegung des derzeitigen offiziellen Abtreibungsverbotes, das Frauen wie Ärzte mit Gefängnisstrafen bedroht, hatte in der Vergangenheit immer wieder die spanische Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen und juristische Unklarheiten hinterlassen.

Nun erkennt die neue Abtreibungs-Regelung ausdrücklich das „Recht der Frauen“ an, „über die Mutterschaft frei zu entscheiden“. In den ersten 14 Schwangerschaftswochen werden die Spanierinnen ab 16 Jahren alleine über den heranreifenden Nachwuchs bestimmen können.

Einzige Bedingung für den Abbruch: Ein Gesundheitszentrum muss zuvor schriftliche Informationen aushändigen über staatliche Familienförderung, Mutterschutz und Verhütungsmittel. Frühestens nach drei Tagen Bedenkzeit darf der medizinische Eingriff erfolgen, dessen Kosten der Staat dann trägt.

Von der 14. bis zur 22. Schwangerschaftswoche soll ein Abbruch nur noch mit medizinischer Indikation erfolgen. Und zwar, wenn „erhebliche Risiken“ für das Leben der Frau oder „schwere Missbildungen“ des Fötus bescheinigt werden. Spaniens Frauenministerin Bibiana Aido begründete die Reform damit, dass die bisherigen rechtlichen Grauzonen beseitigt werden müssten: „Wir wollen ein sichereres Gesetz – mit mehr Garantien für die Frauen und für die Ärzte.“

Ralph Schulze[Madrid]

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