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Hamid Karsai.

© dpa

Frieden der einen, Krieg der andern: Abzugsbeginn aus Afghanistan wird zum Problem

Nach dem Abzug aus Afghanistan könnte das Land wieder in einem blutigen Bürgerkrieg versinken, fürchten Beobachter. Die USA bleiben militärisch präsent. Diplomatisch sorgt das aber für Spannungen.

Der Abzug hat begonnen, doch nicht mit lauten Fanfaren, sondern seltsam still und leise. Die Amerikaner holten die ersten 650 ihrer knapp 100 000 Soldaten aus Afghanistan heim. Zudem startete am Sonntag offiziell der Übergabeprozess, „Transition“ genannt. Aus Angst vor Anschlägen hatte man das Datum jedoch vorher geheim gehalten. „Die Übergabe fängt mit einem Wimmern an“, spottete ein westlicher Journalist. In den nächsten Tagen soll auch die Stadt Masar-i-Scharif übergeben werden, wo 2000 deutsche Soldaten stationiert sind. Während der kriegsmüde Westen dem Abzug entgegenfiebert, wächst in Afghanistan die Angst.

Die afghanischen Sicherheitskräfte seien viel zu schwach und untrainiert, um die Taliban niederzuhalten, meint etwa der Landeskenner und Autor Ahmed Rashid. Ohne eine Verhandlungslösung mit den Militanten drohe das Land nach Abzug des Westens wieder in einem blutigen Bürgerkrieg zu versinken, wie er bereits nach Abzug der Russen ausbrach. Das fürchten viele Afghanen – immer mehr versuchen, das Land zu verlassen

Zwar verbreitet die Nato Optimismus: Man habe eine Wende erreicht. Doch Beobachter und Soldaten an der Front malen ein anderes Bild: In einigen Gebieten gebe es Erfolge, ansonsten werde der Aufstand aber immer blutiger. Die USA setzen offenbar darauf, mit den Taliban einen notdürftigen Frieden auszuhandeln. Als Geste guten Willens strich der Weltsicherheitsrat 14 Taliban von seiner Terrorliste. Doch unklar ist, welche Erfolgsaussichten solche Friedensgespräche haben – und vor allem, wer für die Taliban verhandelt.

Verkompliziert wird ein Friedensdeal dadurch, dass die USA offenbar nicht daran denken, ganz abzuziehen, was bisher eine Kernforderung der Taliban ist. Washington ringt mit Afghanistans Präsidenten Hamid Karsai um eine „strategische Partnerschaft“. Das klingt harmlos, hat es aber in sich. Nach Medienberichten wollen die Amerikaner fünf riesige Militärbasen in dem Land, das unter anderem an den Iran, China und Pakistan grenzt, dauerhaft nutzen. Dass 20 000 US-Soldaten in Afghanistan bleiben sollen, sei „nur das bescheidenste Szenario“, schreibt der indische Politiker und Außenpolitik-Experte Shashi Tharoor.

Auch ohne Afghanistans nähere und weitere Nachbarn ist Friede kaum möglich. Daher verwundert, wie rasant sich derzeit die Beziehung zwischen den USA und Pakistan verschlechtern. Einfach war das Verhältnis nie, aber nun schlittern die Verbündeten in die tiefste Krise seit Jahren. Die USA froren sogar 800 Millionen Dollar, ein Drittel der Militärhilfe, ein.

Viele meinen, dass der Streit sich in Wahrheit um Afghanistan dreht. Während die USA selbst Friedenschancen mit den Taliban ausloteten, verlangten sie von Pakistan einen Vollkrieg gegen sie, damit sie ihre Truppen schneller aus Afghanistan abziehen könnten, schreibt der pakistanische Analyst Imtiaz Gul. Dies sei Kern der pakistanisch-amerikanischen Differenzen. Für Pakistan hat es aber wenig Sinn, es sich mit allen Taliban zu verscherzen, wenn die USA sie in Kabul an der Macht beteiligen wollen.

Obendrein kämpft auch Pakistans Erzfeind Indien heftig um Einfluss am Hindukusch. Delhi hat sagenhafte 1,5 Milliarden Dollar an ziviler Hilfe geleistet. Nervös verfolgt Pakistan, dass US-Außenministerin Hillary Clinton diese Woche nach Delhi reist. Ein Hauptthema, schreibt die indische Wirtschaftszeitung „Mint“, werde Afghanistan sein.

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