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Afghanische Sicherheitskräfte: Alleingelassen

Afghanistans Sicherheitskräften fehlt die Ausrüstung. Die Bundeswehr lehnt die Weitergabe von Wehrgütern nach dem Abzug ihrer Truppen vom Hindukusch ab

Sicherheitsorgane geben in der Regel eher ungern Informationen über die eigene Truppe preis – schon gar nicht, wenn sie recht deutliche Schlüsse über den Zustand der Einheiten zulassen. Dass das afghanische Verteidigungsministerium jetzt zusammen mit dem Innenministerium Zahlen über seine getöteten Mitarbeiter veröffentlicht hat, ist alleine schon bemerkenswert: In den vergangenen Jahren wurde eine solche Statistik nur von der internationalen Afghanistan-Schutztruppe Isaf geführt, die für die Sicherheit am Hindukusch verantwortlich war. Diese Aufgabe sollen nach dem Willen der internationalen Staatengemeinschaft in der Zukunft einheimische Kräfte übernehmen.

Ob die Afghanische Nationalpolizei (ANP) und Afghanische Nationalarmee (ANA) dazu allerdings in der Lage sein werden, ist angesichts der jetzt veröffentlichten Todesstatistik äußerst fraglich. Nach ihr verloren allein in den vergangenen zwölf Monaten fast 3000 einheimische Soldaten und Polizisten in Afghanistan ihr Leben. Fast genauso viele Tote, 3270, hat die Nato laut der Internetplattform icasualties.org bei ihrer Militärmission am Hindukusch bisher zu beklagen – über einen Zeitraum von knapp zwölf Jahren.

Für Thomas Ruttig vom „Afghanistan Analysts Network“ zeugt die ungleiche Relation zwischen getöteten Sicherheitskräften aus dem Ausland und getöteten Einheimischen nicht nur davon, dass die Afghanen seit geraumer Zeit zusammen mit Soldaten der internationalen Schutztruppe Isaf an vorderster Front kämpfen. „Sie sind offenbar noch nicht genügend ausgebildet, um den Taliban effektiv gegenübertreten zu können“, sagt Ruttig. Zudem verfügten weder die afghanischen Streitkräfte noch die Polizei über eine adäquate Ausrüstung.

„Die afghanischen Sicherheitskräfte sind viel weniger geschützt als die internationalen Truppen“, sagt Winfried Nachtwei, der 15 Jahre für die Grünen im Bundestag Verteidigungspolitik gemacht hat und zahlreiche Male in Afghanistan war. Beim hiesigen Militär gehöre es inzwischen zur traurigen Normalität, dass „alle paar Wochen ein ganzer Checkpoint von Taliban ausgelöscht“ werde. Als Beispiel nannte Nachtwei einen Angriff von Aufständischen Anfang März in Badachschan. Taliban hatten damals in der bergigen Provinz im Nordosten des Landes einen Konvoi der afghanischen Armee in einen Hinterhalt gelockt und 17 Soldaten getötet.

Auch die Polizei am Hindukusch wird immer wieder regelrecht von Angreifern überrannt. „Die ANP ist damit heillos überfordert“, sagt der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold. Um Attacken standzuhalten, seien vor allem Investitionen in Infrastruktur wie geschützte Gebäude und Fahrzeuge notwendig. Aus Arnolds Sicht gibt es aber auch noch an anderer Stelle Handlungsbedarf: Die afghanische Polizei brauche mehr Rückhalt in der Gesellschaft. „Die Bürger müssen wissen, dass die Polizei zuverlässig für sie da ist“, sagt er.

Die afghanische Armee ist durch internationale Bemühungen inzwischen 330 000 Mann stark und soll auf 350 000 Soldaten anwachsen. Doch die Masse allein scheint vor allem im Kampf gegen die Taliban nicht auszureichen. Das Hauptproblem der ANA sind nach dem jüngsten Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums an den US-Kongress horrende Verluste beim Personal. So gingen der Streitkraft allein zwischen 2010 und 2012 durch Kampfeinsätze, Unfälle, Desertation, auslaufende Verträge oder aus anderen Gründen 57 Prozent des Personals verloren. Das bedeutet, dass die Armee ständig neue Soldaten rekrutieren muss – während die Zahl erprobter Kräfte abnimmt. Das wiederum sei unter anderem bei der Planung und Organisation von Einsätzen ein Problem, sagt Rainer Arnold: „Da gibt es sehr viel Improvisation.“ Die Ausbildung der afghanischen Soldaten müsse sich daher auf operative Planungen konzentrieren, sagt der SPD-Politiker. Auch müssten die internationalen Streitkräfte „eine ernsthafte Debatte“ darüber führen, welches Material man den Afghanen nach dem Abzug überlassen könne.

Die Bundeswehr, die bis Ende 2014 aus Afghanistan abziehen will, steht solchen Überlegungen kritisch gegenüber. Offenbar trauen deutsche Militärs den Einheimischen den Umgang mit ausländischer Wehrtechnik nicht zu. Weder seien am Hindukusch das nötige Know-how noch die Ersatzteile noch das Personal für den nachhaltigen Betrieb und die Wartung von Fremdmaterial vorhanden, heißt es in Bundeswehrkreisen.

Diese Haltung will Rainer Arnold keinesfalls gelten lassen. „Wir können die Afghanen nicht erst ausbilden und dann nur mit einer Kalaschnikow in der Hand im Stich lassen“, sagt er.

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