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Afghanistan: „Wer Demokratie pur will, wird scheitern“

General a.D. Reinhardt über den Bundeswehreinsatz am Hindukusch: Ziele, Probleme, neue Aufgaben.

Herr Reinhardt, diese Woche soll der Bundestag das Mandat für den Afghanistan- Einsatz der Bundeswehr verlängern. Können Sie uns erklären, warum die Bundeswehr am Hindukusch ist?

Die Bundeswehr ist unter der Regierung Schröder nach Afghanistan geschickt worden, nach dem 11. September 2001, unter dem Eindruck des zerstörten World Trade Centers. Sie soll nicht eingesetzt werden, um vorrangig die Taliban zu bekämpfen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, die Regierung Karsai beim wirtschaftlichen Wiederaufbau und dem Aufbau staatlicher Institutionen, insbesondere der Polizei und der afghanischen Armee, zu unterstützen und die dafür erforderliche Sicherheit zu garantieren.

Welches Ziel hat die Nato in Afghanistan?

Die Nato hat nach dem 11. September festgestellt, dass Al Qaida und die Taliban eine Gefährdung für die gesamte Welt darstellen und man diese Gefahr dort bekämpfen sollte, wo sie entsteht.

Geht es der Nato in Afghanistan denn nun um Verteidigung oder um Sicherheit?

Ich sehe die Sache nicht so wie der frühere Verteidigungsminister Peter Struck, der gesagt hat, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt werde. Es geht hier aber nicht so sehr um die Verteidigung unseres Landes und Europas, sondern um Sicherheit und das Wiederherstellen der Stabilität in einem Land, dass seine innere und äußere Sicherheit verloren hat. Die Nato und die Bundeswehr wollen Afghanistan bei der Stabilisierung unter die Arme greifen, bis das Land diese Aufgaben mittel- und langfristig wieder selbst übernehmen kann. Das ist letztlich die entscheidende Voraussetzung dafür, dass sich die Kräfte der Nato schrittweise aus Afghanistan zurückziehen können. Es kann ja nicht sein, dass die internationale Truppe dort ad infinitum ist.

Die Nato hat sich bislang nicht auf einen Termin für einen Abzug festgelegt.

Das Bündnis hat bewusst davon Abstand genommen, weil sich sonst die Taliban und andere Aufständische bis zu dem Termin zurückhalten könnten, um dann die Schleusen wieder zu öffnen.

Die verteidigungspolitsche Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Birgit Homburger, hat kürzlich gesagt, das Ziel könne aus heutiger Sicht nicht mehr die Schaffung einer funktionierenden Demokratie sein, sondern bestenfalls eine „selbsttragende Sicherheit“. Hat sie recht?

Wir müssen uns davon lösen, dass unser System der Demokratie das einzig selig machende ist. Wir können einem Land, das dreieinhalb Tausend Jahre in Clanstrukturen gelebt hat, nicht ein demokratisches System überstülpen, das noch dazu zentral gesteuert ist. Es gab in Afghanistan nie eine starke Zentralregierung, sondern nur dezentrale Herrscher, die sich unter einem gemeinsamen Führer – so in der Neuzeit unter einem König – locker zusammengeschlossen haben. Eine stabile Regierung, die Grundelemente der Demokratie hat, aber auch islamischen Aspekten Rechnung trägt, dürfte der richtige Weg sein. Am Versuch, Demokratie pur aufzubauen, werden wir scheitern.

Ein großes Problem ist nach wie vor der illegale Anbau von Schlafmohn. Laut Schätzungen der Weltbank wird ein Drittel des Bruttoinlandproduktes des Landes mit dem Opiumhandel erwirtschaftet. Im Süden des Landes setzen die USA im Rahmen der Anti-Terrormission OEF darauf, die Drogenlabore zu zerstören. Deutsche Entwicklungshelfer halten das für falsch.

Bislang gibt es keinen Ansatz, der der Sache gerecht wird. Im vergangenen Jahr sind in Afghanistan 82 000 Tonnen Rohopium produziert worden, 200 Prozent mehr als im Vorjahr. Das kann so nicht bleiben. Der Drogenhandel ist die Haupteinnahmequelle der Bauern, aber auch die der Drogenbarone und für manch einen in der Regierung. Es ist fraglich, ob eine solche Regierung der Aufgabe, den Drogenanbau einzudämmen, gewachsen ist, zumal sie sich mit der stillschweigenden Genehmigung des Drogenanbaus der Zustimmung der wichtigsten Clan- und Drogenchefs im Lande versichert.

Am Freitag haben die Nato-Verteidigungsminister auf Drängen der USA und Großbritanniens beschlossen, dass Isaf-Soldaten künftig auch Drogenhändler bekämpfen und Heroinlabore zerstören dürfen.

Soweit sich die Beteiligung der Soldaten am Kampf gegen Drogen darauf konzentriert, die Heroinlabore auszuheben und die Handelswege zu kappen, ist dieser Ansatz sehr sinnvoll. Falsch wäre es dagegen, wenn die Soldaten selbst die Mohnfelder abbrennen würden – sie würden das Vertrauen der Bevölkerung verlieren, zu deren Schutz sie da sind. Angesichts der ungeheuren Opiummengen im Land stellt sich für mich die Frage, ob sich nicht eine Institution wie die EU entscheiden könnte, die Opiumvorräte aufzukaufen, bevor sie auf illegalem Weg nach Europa gelangen. Aus den Drogen ließen sich Morphine und Opiate für die Medizin herstellen. Mit den Einnahmen könnte dann der traditionelle Anbau von alternativen Produkten wie Mais, Äpfeln oder Rosen in Afghanistan subventioniert werden. Die Bauern hätten damit die Chance, auch ohne den Drogenanbau ein ausreichendes Einkommen zu haben.

Die Drogenbarone werden damit wohl kaum zu ködern sein.

Es ist klar, dass die Drogenbosse ihre Kräfte mobilisieren würden, um gegen eine solche Politik vorzugehen. Aber die Staatengemeinschaft kann ja nicht einfach dabei zusehen, wie der Schlafmohnanbau immer weiter zunimmt.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem militärischen Einschreiten und der wachsenden Gewalt in Afghanistan?

Den Zusammenhang gibt es. Wenn es der operative Ansatz des Militärs sein sollte, die Taliban auszuschalten, bevor die zivilen Hilfsorganisationen ins Land gebracht werden, dann wird die Bevölkerung über Jahre hinaus nur Kämpfe, Flugzeuge und Hubschrauber kennenlernen. Ihre persönliche Situation wird sich nicht verbessern. Im Grunde muss das aber parallel geschehen. Die Deutschen praktizieren im Norden mit gutem Erfolg den Ansatz einer engen Verzahnung der zivilen und militärischen Anstrengungen.

Klaus Reinhardt ist General a. D. des Heeres der Bundeswehr. Er war Befehlshaber der Kosovo-

Friedenstruppe (Kfor) und führte das Bundeswehr-Kontingent im Somalia-Einsatz.

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