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Politik: Ägyptens Machthaber wollen friedliche Lösung

Armeechef al Sissi möchte Protestcamps der Islamisten nicht mit Gewalt räumen lassen.

Kairo - Durch intensiven internationalen Druck haben in den Kreisen der neuen Machthaber Ägyptens die moderaten Kräfte erstmals gegenüber den Hardlinern ein wenig die Oberhand bekommen. Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei warb am Wochenende in mehreren Interviews um eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen Anhängern und Gegnern des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi. El Baradei beklagte, er stehe unter einem enormen Druck von Leuten, „die die Muslimbruderschaft ein für allemal zerschlagen“ wollten. Er qualifizierte diese Kreise als „Figuren des Mubarak-Regimes“ sowie als Mitglieder der Sicherheitskräfte und der Übergangsregierung. Deren Vertreter dämonisieren die Muslimbruderschaft in der Regel pauschal als Terroristen und fordern ein kompromissloses Vorgehen.

Die zweite Friedensnobelpreisträgerin der arabischen Welt, Tawakkol Karman, wurde unterdessen von ägyptischen Grenzbeamten in Kairo „aus Sicherheitsgründen“ an der Einreise gehindert. Sie durfte den Flughafen nicht verlassen und wurde gezwungen, nach Jemen zurückzufliegen. Karman hatte die Absetzung von Mursi durch die Armee als undemokratisch bezeichnet.

In der Nacht zum Sonntag traf sich Armeechef Abdel Fattah al Sissi erstmals mit einer sechsköpfigen Delegation islamistischer Vertreter, denen jedoch kein Mitglied der Muslimbruderschaft angehörte. Nach Angaben des salafistischen Scheichs Mohammed Hassan versprach al Sissi der Abordnung, die Protestcamps der Islamisten würden nicht mit Gewalt geräumt, um den Boden für eine nationale Versöhnung vorzubereiten. Als Gegenleistung verlangte der oberste General, die Redner auf den Tribünen in Nasr City und Dokki müssten ihren Ton mäßigen, und die Sit-ins dürften sich nicht in die umliegenden Straßen ausdehnen.

In der Woche zuvor hatte das Interimskabinett Innenminister Mohammed Ibrahim autorisiert, die Versammlungsplätze der Mursi-Anhänger mit Gewalt aufzulösen. Bisher jedoch hält sich die Polizeiführung zurück, beschränkte sich auf Appelle an die Sitzstreikenden, friedlich nach Hause zu gehen. El Baradei erklärte, er stemme sich mit allen erdenklichen Mitteln gegen eine gewaltsame Auflösung der Protestlager. Am vorletzten Wochenende hatten Scharfschützen der Polizei gezielt das Feuer auf Pro-Mursi-Demonstranten in Nasr City eröffnet und 82 von ihnen erschossen – meist mit gezielten Todesschüssen in Kopf, Hals oder Herz.

Die Muslimbruderschaft hatte am vergangenen Freitag bei brütender Hitze erneut zehntausende Demonstranten mobilisiert und damit gezeigt, dass ihr Widerstand gegen die Absetzung von Mursi nach wie vor einen substanziellen Rückhalt im Volk hat. Auf Druck der internationalen Vermittler will General al Sissi offenbar jetzt durch Gesten der Vertrauensbildung die zugespitzte Situation entschärfen. Ob die Führung der Muslimbruderschaft allerdings politisch handlungsfähig ist und wie sie auf die Signale vom Wochenende reagiert, war zunächst unklar. Martin Gehlen

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