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Geht in Deckung: Innenminister Friedrich.

© dapd

Akten-Schreddern beim Verfassungsschutz: Innenminister Friedrich gerät in Erklärungsnot

Beim Verfassungsschutz sind Akten vernichtet worden, die nicht hätten vernichtet werden dürfen. Warum zögerte der Innenminister so lange mit einem Verbot? War es lediglich Nachlässigkeit? Schon werden die ersten Stimmen laut, die seinen Rücktritt fordern.

Von Antje Sirleschtov

„Angstschreddern“ nennt Jens Teschke an diesem Freitag den brisanten Vorgang. Und man sieht dem Sprecher von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) an, dass auch ihn vor den Augen und Linsen der Bundespressekonferenz ein bisschen Angst befällt. Zwar tut er so, als sei das Vernichten von Akten im Bundesamt für Verfassungsschutz eine Routineangelegenheit, bei der man es den Verfassungsschützern nachsehen müsse, wenn sie sorgsam darauf bedacht sind, Protokolle von Vernehmungen und andere personenbezogene Unterlagen so rasch wie möglich zu vernichten, damit dem Gesetz und dem Datenschutz Genüge getan wird.

Aber Teschke wird zur gleichen Zeit ahnen, dass sich hinter dieser Schredderei etwas anderes, etwas viel Größeres, verbergen könnte als das bloße Zerstückeln und Löschen von Papier und Dateien in den Amtsstuben des Verfassungsschutzes.

In diesem Fall geht es nämlich um die Aufklärung von zehn Morden an türkisch- und griechischstämmigen Bürgern durch die rechtsextreme Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) und die dubiose Rolle, die Sicherheitsbehörden dabei gespielt haben.

Und es geht um den ungeheuerlichen Verdacht, dass nicht nur letztes Jahr, als der Skandal bekannt wurde, sondern womöglich bis in diesen Sommer hinein Akten mit möglichem Beweismaterial vernichtet wurden.

Ein Verdacht, der, wenn er sich erhärtet, nicht nur den Verfassungsschutzchef Heinz Fromm seinen Job gekostet haben wird, sondern auch den Innenminister selbst in Bedrängnis bringen könnte. Schließlich stellt sich die Frage: Wieso mussten seit dem Bekanntwerden der NSU-Morde und der Rolle der Sicherheitsbehörden mehr als sieben Monate vergehen, bis Hans-Peter Friedrich in dieser Woche für seinen gesamten Verantwortungsbereich das Vernichten von Akten bis auf Weiteres verboten hat. Zufall, Nachlässigkeit?

Regierungssprecher Steffen Seibert beteuerte zwar am Freitag: „Es wird alles geklärt werden.“ Die Antwort auf die Frage aber, warum Friedrich das Schreddern in diesem Skandal nicht längst beendet hat, die wird in keiner Akte auftauchen, und je nachdem, wie sie ausfällt, könnte sie über Friedrichs politische Zukunft entscheiden.

Bildergalerie: Die Opfer der NSU

Zunächst sah die Angelegenheit noch wenig bedrohlich aus. Als sich die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses am Donnerstag trafen, waren sie zwar sofort alarmiert, als das Schreddern von Akten beim Verfassungsschutz sowohl Anfang Dezember 2011 als auch im April und Mai dieses Jahres bekannt wurde. Sogar FDP-Obmann Hartfrid Wolff, ein Mann der schwarz-gelben Koalition, vermutete „Sodom und Gomorrha“ bei den Sicherheitsbehörden. Das Innenministerium jedoch suchte die Gemüter mit der Auskunft zu beruhigen, es habe sich bei den geschredderten Unterlagen nur um solche gehandelt, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der NSU stünden.

Am Freitag jedoch musste Friedrichs Sprecher Teschke den Eindruck revidieren. Am 5. Dezember 2011 seien bei einer routinemäßigen Schredderaktion Anlagen zu Akten zerstört worden, die einen „Bezug“ zum Umfeld der NSU, nicht aber zu den der NSU zugeschriebenen Taten gehabt hätten.

Die Personen, auf die in den Anlagen verwiesen worden sei, hätten zum Teil in Bezug zu den „später beschuldigten“ NSU-Mitgliedern gestanden. Auch habe es bei der Aktenvernichtung „keinen Datenverlust“ gegeben, betonte Teschke. Vernichtet worden seien nur Anlagen zu den Akten über Abhörmaßnahmen gegen Rechtsextremisten.

Die eigentlichen Fallakten mit den Abhörprotokollen seien noch vorhanden. Bei den vernichteten Anlagen habe es sich um gesammelte Beweise gehandelt, mit denen die jeweilige Abhörmaßnahme gerechtfertigt worden sei. Ihr Inhalt könne aus den nicht vernichteten Fallakten erschlossen werden.

Für die Mitglieder des Untersuchungsausschusses ist die Sache damit noch längst nicht erledigt. „In hohem Maße unsensibel“, nennt es SPD-Mann Sebastian Edathy, wenn zu einem Zeitpunkt, zu dem in der gesamten Gesellschaft über die NSU-Morde debattiert werde, Unterlagen vernichtet würden.

In der Koalition, vor allem in der FDP, wird hinter den Kulissen die Frage nach der Verantwortlichkeit des Innenministers debattiert.

Und in der Linkspartei wird bereits der Rücktritt von Friedrich gefordert. „Der Verfassungsschutz betreibt Vertuschung, und der Innenminister versucht, die Vertuschung zu vertuschen“, kritisiert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion, Ulla Jelpke, und verlangte, Friedrich müsse sich erklären oder „seinen Hut nehmen“.

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