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RWE-Mitarbeiter entfernen das Ortsschild des Dorfes Lützerath.

© Federico Gambarini/dpa

Update

Polizei räumt Lützerath: RWE beginnt mit Einzäunung von Braunkohle-Tagebau

Die Lage in Lützerath hat sich nach Polizeiangaben stabilisiert. Derweil trifft der Energiekonzern RWE Vorbereitungen für den „Rückbau“ des Braunkohleortes.

| Update:

Am Ortseingang von Lützerath haben Bagger mit Abrissarbeiten begonnen. Auch eines der Ortsschilder von Lützerath wurde am frühen Nachmittag entfernt. Arbeiter begannen zudem damit, den Braunkohleort einzuzäunen. Die Arbeiten würden vermutlich den ganzen Tag dauern, sagte ein Sprecher des Energiekonzerns RWE am Mittwoch. Das Unternehmen, das die unter dem Ort liegende Braunkohle für die Stromerzeugung abbauen will, hatte den Schritt angekündigt.

Der Zaun werde etwa 1,5 Kilometer lang sein. „Er markiert das betriebseigene Baustellengelände, wo in den nächsten Wochen die restlichen Gebäude, Nebenanlagen, Straßen und Kanäle der ehemaligen Siedlung zurückgebaut werden. Zudem werden Bäume und Sträucher entfernt“, schrieb der Konzern. Die Polizei hatte betont, der Zaun diene nicht dazu, Demonstranten auf dem Gelände von Lützerath einzuschließen. 

Unter überwiegend friedlichem Protest begann die Polizei am Mittwochmorgen, den von Klimaaktivisten besetzte Braunkohleort Lützerath im Rheinischen Revier zu räumen. Bis zum Nachmittag zeigte sich ein Sprecher „sehr zufrieden“ mit dem Verlauf: „Für die Polizei läuft bislang alles nach Plan.“ Die Einsatzkräfte hätten den gesamten Bereich abgesperrt, niemand komme mehr unbefugt hinein, hieß es.

Ein Aktivist hängt in Lützerath
Ein Aktivist hängt in Lützerath

© dpa/Rolf Vennenbernd

Die Polizei appellierte insbesondere an Familien mit Kindern. „Aufgrund weitreichender Gefahren im Einsatzraum, appelliert die #Polizei #Aachen an die Erziehungsberechtigten, den Bereich umgehend mit ihren Kindern zu verlassen“, schrieben die Beamten am Mittwoch bei Twitter. Die Polizei helfe dabei, Familien sicher vom Gelände zu begleiten.

Einige Aktivisten verließen freiwillig das Gelände

Im Vorfeld war mit massivem Widerstand gerechnet worden. Beobachter sprachen dagegen von einer zum Teil entspannten Atmosphäre. Früh am Morgen war es zum Auftakt der Räumung im zu Erkelenz zählenden Ortsteil Lützerath zu Rangeleien gekommen. Laut Polizei wurde ein Molotow-Cocktail, Steine und Pyrotechnik in Richtung der Beamten geworfen.

„Unterlassen Sie sofort das Werfen von Molotow-Cocktails. Verhalten Sie sich friedlich und gewaltfrei!“, schrieb die Polizei bei Twitter. Zudem seien Gegenstände aus einem Haus in Richtung der Einsatzkräfte geworfen worden, wie ein dpa-Reporter berichtete.

Die Polizei forderte die Aktivisten daraufhin ultimativ auf, die Besetzung aufzugeben. Es gebe nun noch eine letzte Möglichkeit, den Ort freiwillig zu verlassen. Andernfalls „müssen Sie mit der Anwendung unmittelbaren Zwangs rechnen“, hieß es in einer Durchsage der Polizei am Mittwochmorgen.

Die Menschen sind fest entschlossen dazubleiben, auszuharren, die Bäume und die Gebäude zu schützen.

Mara Sauer, Sprecherin von „Lützerath lebt“

Erste Aktivisten folgten der Aufforderung und gingen freiwillig. Sie wurden von Polizisten vom Gelände eskortiert. Viele wollen aber weiter Widerstand leisten. „Die Menschen sind fest entschlossen dazubleiben, auszuharren, die Bäume und die Gebäude zu schützen“, sagte Mara Sauer, eine Sprecherin der Initiative „Lützerath lebt“.

Die Bundesregierung verteidigte die Räumung des Braunkohledorfs Lützerath im Rheinischen Revier und kritisierte Gewalt durch Demonstranten scharf. Es gebe eine „eindeutige Rechtslage, was Lützerath angeht, und die gilt es zu akzeptieren“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin. 

RWE ruft zu Gewaltverzicht auf

Der Energiekonzern RWE will die unter Lützerath liegende Kohle abbaggern – dafür soll der Weiler auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz abgerissen werden. In Lützerath leben seit Monaten Klimaaktivisten in leerstehenden Häusern.

RWE rief die Besetzer zu Gewaltverzicht auf. „Gewalt gegenüber Polizei oder eingesetzten Beschäftigten ist vollkommen inakzeptabel“, betonte der Versorger in einer am Morgen veröffentlichten Mitteilung. RWE rufe die Besetzer dazu auf, den Rechtsstaat zu achten und die widerrechtliche Besetzung der RWE gehörenden Häuser, Anlagen und Flächen friedlich zu beenden. „Niemand sollte sich selbst durch gesetzeswidrige Handlungen in Gefahr bringen.“

Eine weitere Sprecherin von „Lützerath lebt“ warf der Polizei einen überharten Einsatz vor. Helfer seien nicht durchgelassen worden. „Jetzt gerade eben wurde erst wieder eine Aktivistin unter Schmerzgriffen rausgebracht“, sagte sie am Nachmittag. Sie habe auch von Verletzten gehört.

RWE-Mitarbeiter entfernen das Ortsschild des Dorfes Lützerath.
RWE-Mitarbeiter entfernen das Ortsschild des Dorfes Lützerath.

© Federico Gambarini/dpa

NRW-Minister sorgt sich um Sicherheit der Polizisten

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kritisierte am Mittag Übergriffe auf Polizisten scharf. „Ich bin eigentlich nur fassungslos und verstehe es nicht, wie Menschen sowas machen können“, sagte Reul über die Würfe in Richtung seiner Beamten. Jetzt seien alle friedlichen Demonstranten in der Pflicht, sich von Aktionen gewaltbereiter Aktivisten zu distanzieren. „Man kann woanders demonstrieren, man muss denen jetzt nicht noch behilflich sein dadurch, dass man da steht und die Polizei bei der Arbeit stört“, sagte er.

Zudem forderte Reul die Klimaaktivisten zum Verlassen Lützeraths auf. Dies sei für friedliche Aktivisten nach wie vor jederzeit ohne Identitätsfeststellung möglich, sagte Reul am Mittwoch in Düsseldorf. „Das ist unser Angebot. Schützen Sie das Klima, aber schützen Sie keine gewaltbereiten Störer.“ Laut dem Aachener Polizeipräsidenten Dirk Weinspach hätten etwa 200 Personen das Angebot in Anspruch genommen.

Tags zuvor hatte Reul der „Rheinischen Post“ gesagt, er sorge sich um die Sicherheit der Einsatzkräfte. „Wir haben in Lützerath einen gewissen Anteil an gewaltbereiten Aktivisten. Ihre Anzahl schwankt aktuell täglich.“ Ein solcher Einsatz sei „für die Polizei immer gefährlich, und ich mache mir auch ständig Gedanken um die Sicherheit unserer Beamten.“

Die Einsatzkräfte seien aber gut geschult und ausgebildet. Logistisch und personell sei die Polizei gut vorbereitet. Er führte aus: „Wir wissen nicht, was die Polizistinnen und Polizisten in den Häusern in Lützerath erwartet. Gibt es Fallen oder andere Barrikaden, die wir von außen nicht sehen? Wir wissen auch nicht, wie viele Menschen sich den Einsatzkräften in den Weg stellen werden.“ Reul fügte hinzu: „Vorsicht ist das Gebot dieser Tage.“

Räumung begann im strömenden Regen

Bereits am frühen Mittwochmorgen waren rund um den von Klimaaktivisten besetzten Ort Dutzende Einsatzfahrzeuge der Polizei unterwegs, wie dpa-Reporter berichteten. Es regnete stark und anhaltend, die Böden waren aufgeweicht.

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Ab Mittag hatte die Polizei damit begonnen, Aktivisten von Bäumen und Podesten zu holen. Dabei setzten die Beamten an verschiedenen Stellen Hebebühnen ein. Zudem hätten Polizisten angefangen, eine ehemalige landwirtschaftliche Halle zu räumen. „Einige Personen haben den Bereich freiwillig verlassen“, sagte ein Polizeisprecher. In der Halle habe sich eine Gemeinschaftsküche der Aktivisten befunden.

Später warfen Beamte selbstgebaute kleine Holzhäuser auf Stelzen um und setzten so die Räumung fort. Nach Angaben eines dpa-Reporters wurden die Beamten dabei in dem Hütten- und Baumhauscamp von Schmährufen der Aktivisten begleitet. Die Polizei entfernte dabei zum Beispiel auch Feuerlöscher, die von den Aktivisten in den Hütten aufbewahrt wurden.

Zu verletzten Polizisten lagen bis zum Nachmittag nach Auskunft eines Sprechers keine Informationen vor. Auch zu möglichen Festnahmen könne er noch nichts sagen. „Wir haben hier ganz überwiegend friedlichen Protest erlebt, in Sitzblockaden, auf Tripods – und das sind Protestformen, mit denen wir super parat kommen“, betonte er. Wenn die Aktivisten sich wegtragen ließen, sei das noch passiver Protest und damit im Rahmen dessen, was angemessen sei.

Polizisten und Aktivisten in Lützerath
Polizisten und Aktivisten in Lützerath

© AFP/Ina Fassbender

Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach sprach am Abend von zwei verletzten Beamten – sie seien aber dienstfähig. Die Räumung des Protestdorfs ist nach seiner Einschätzung einer der herausforderndsten Einsätze der letzten Jahre. Die Polizei erhält dafür Unterstützung aus dem ganzen Bundesgebiet. Aktivisten haben etwa 25 Baumhäuser errichtet, einige davon in großer Höhe.

Polizeigewerkschaft: Einsatzkonzept bisher aufgegangen

Nach Ansicht der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) ist das Einsatzkonzept der Polizei bei der Räumung des Dorfes Lützerath bislang aufgegangen. „Die gezielte Kommunikation hat zur Deeskalation der Lage beigetragen“, sagte der DPolG-Vorsitzende Rainer Wendt am Mittwochmittag. „Erfahrungen aus vergangenen Einsätzen, wie der im Hambacher Forst 2018 zeigen, dass die Polizei mit erheblichem Widerstand bis hin zu aufgestellten Fallen rechnen muss.“

Wendt hält Äußerungen aus der Politik für mitentscheidend für den Verlauf des Einsatzes. „Wenn die Grünen-Vorsitzende beide Seiten ermahnt, zur Deeskalation beizutragen, verkennt dies in inakzeptabler Weise die Ausgangslage“, kritisierte der Gewerkschaftschef Parteichefin Ricarda Lang. Die Polizei handle nach Recht und Gesetz. „Wenn Politiker Polizei und Störer gleichsetzen, ist das skandalös und trägt zur Aushöhlung unseres Rechtsstaats bei.“

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Die führende Klimaaktivistin Greta Thunberg will für Proteste nach Lützerath kommen. Die junge Schwedin wird nach dpa-Informationen am Samstag an einer Demonstration gegen die Räumung der von Klimaaktivisten besetzten Ortschaft teilnehmen. Thunberg war bereits im September 2021 nach Lützerath gereist, um gegen den Kohleabbau und für die Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels zu demonstrieren – einen Tag vor der damaligen Bundestagswahl.

Der Aachener Bischof Helmut Dieser hat im Konflikt um die Räumung des Braunkohledorfs Lützerath an alle Seiten appelliert, keine Spirale der Gewalt in Gang zu setzen. „Friedliche Proteste sind zentraler Bestandteil einer lebendigen Demokratie“, unterstrich er am Mittwoch laut Mitteilung des Generalvikariats. „Zu einem glaubwürdigen Rechtsstaat gehört aber auch, dass Regeln und Vereinbarungen eingehalten werden.“

Klimaschützer scheitern erneut vor Gericht

Vor Gericht sind die Klimaschützer am Mittwoch erneut mit Eilanträgen gegen das Aufenthalts- und Betretungverbots für das Dorf Lützerath gescheitert. In zwei weiteren Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht Aachen die Rechtmäßigkeit der Verfügung bestätigt, die der Räumung des Weilers für den Braunkohleabbau dienen soll.

Menschen, die sich trotz des Verbotes in Lützerath aufhalten, könnten sich nicht auf einen sogenannten Klimanotstand berufen, hieß es in der Begründung des Gerichts. Einen solchen Rechtfertigungsgrund sehe die geltende Rechtsordnung nicht vor. Außerdem handele es sich bei den im Eigentum von RWE stehenden Flächen nicht mehr um öffentliche Flächen. Deswegen seien dort Versammlungen nach den Regelungen des Versammlungsrechts nicht mehr zulässig. 

Lützerath ist ein Ortsteil der 43.000-Einwohner-Stadt Erkelenz im Westen von Nordrhein-Westfalen. Der inmitten von Feldern gelegene Weiler befindet sich inzwischen unmittelbar an der Kante des Braunkohletagebaus Garzweiler. Die darunter liegende Kohle soll zur Stromgewinnung gefördert werden.

Bei einer Informationsveranstaltung über den Einsatz in Erkelenz meldeten sich am Dienstagabend unter den rund 300 Teilnehmern vor allem Vertreter örtlicher Klimaschutz-Initiativen, die den Tagebau strikt ablehnen. Sie forderten angesichts des bevorstehenden Räumungsbeginns ein Moratorium und zogen die Gutachten in Zweifel, auf die sich die Inanspruchnahme des Ortes für den Braunkohletagebau stützt.

Anwohner der Nachbardörfer beschwerten sich über Hubschrauber der Polizei, die dicht über ihre Häuser flogen. Auch das Auftreten eines privaten Sicherheitsdienstes wurde kritisiert.

Göring-Eckardt mahnt friedlichen Protest an

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt mahnte einen friedlichen Protest an. Dieser dürfe sich „durch unbedachte Aktionen nicht delegitimieren“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Zugleich verteidigte sie die Beharrlichkeit der Klimaaktivisten. „Die Protestierenden in Lützerath oder auf den Straßen als Verrückte zu brandmarken, sie zu Kriminellen zu machen, ist inakzeptabel.“

Die von den Grünen geführten Wirtschaftsministerien in Bund und Land NRW haben mit RWE einen auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg vereinbart. Außerdem sollen fünf bereits weitgehend leerstehende Dörfer am Tagebau Garzweiler in der Nachbarschaft von Lützerath erhalten werden. Der kleine Ort Lützerath an der Kante des Tagebaus darf abgebaggert werden.

Gelände und Häuser gehören seit langem dem Energiekonzern. Die juristischen Auseinandersetzungen sind in letzter Instanz geklärt. Wegen der derzeitigen Energiekrise wurde die Stromerzeugung mit Braunkohle für das europäische Stromnetz zuletzt wieder ausgeweitet. Im Rheinland gibt es mit Hambach und Inden zwei weitere Braunkohletagebaue. (dpa, AFP, Tsp)

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