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Politik: Alte Rechnungen

Auch im Nordirak herrschen nach dem Ende des alten Regimes Chaos und Gewalt – droht eine türkische Invasion?

Mit der Freiheit kamen auch in Mossul die Plünderer. Als die irakischen Soldaten in der drittgrößten Stadt des Landes nach wochenlangen Bombardements durch die US-Luftwaffe am Freitag vor den anrückenden Kurdenverbänden flohen, war plötzlich nichts mehr sicher. Die örtliche Vertretung der irakischen Zentralbank in der Erdöl-Stadt wurde gestürmt, Banknoten flogen wie Konfetti durch die Luft und wurden von der Menge auf der Straße aufgesammelt. Einige zerrissen die Dinar-Scheine mit dem Porträt Saddam Husseins demonstrativ, doch viele steckten sie hastig ein. Man weiß ja nie.

Die andere Erdöl-Stadt im Norden, Kirkuk, war schon am Vortag an die Kurden gefallen. Auch in Kirkuk wurde weiter geplündert. Der kurdische Exil-Gouverneur von Kirkuk, Rizgarali Hamgam, berichtete von mehreren Toten – in der zwischen Kurden, Turkmenen und Arabern umstrittenen Stadt wurden offenbar alte Rechnungen blutig beglichen. Vertreter der Turkmenen in Ankara warfen den Kurden vor, sie wollten alle Spuren der turkmenischen Volksgruppe in der Stadt auslöschen. Die Kurden wiesen dies zurück.

Wie in anderen Städten Iraks gelang es der US-Armee bis zum Freitagabend nicht, in Mossul und Kirkuk Ordnung zu schaffen. Zwar begannen die Kurdenkämpfer in Kirkuk mit dem vereinbarten Rückzug, der eine türkische Militärintervention verhindern soll. Doch obwohl am Nachmittag erste US-Verstärkungen eintrafen, war zunächst nichts von einem entschlossenen und effektiven Durchgreifen der Amerikaner zu sehen.

Dafür tauchten am Nachmittag türkische Militärbeobachter im Norden des Irak auf, um den angekündigten Rückzug der Kurden zu verifizieren. Denn wenn die Türkei auch vorerst auf einen Militäreinsatz in Nordirak verzichtet – ausgeschlossen ist eine solche Intervention noch immer nicht. Die Soldaten der bisher in Mossul stationierten irakischen Division zog unterdessen nach Angaben von CNN unbewaffnet und zu Fuß in Richtung Bagdad ab.

Ein militärisches Eingreifen ist für die Türkei aber nur das letzte Mittel, denn eine Intervention würde die ohnehin belasteten türkisch-amerikanischen Beziehungen in eine neue Krise stürzen. Außenminister Gül selbst signalisierte am Freitag, dass Ankara versuchen will, dies zu vermeiden. Er sagte kurzfristig eine für Sonntag geplante Reise nach Syrien ab, obwohl der Anlass der Visite – eine mögliche türkisch-syrisch-iranische Initiative zur Verhinderung eines Kurdenstaates in Nordirak – brandaktuell ist.

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