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Politik: An den Grenzen der Unvernunft (Leitartikel)

Nur wenige Jahre ist es her, da scheiterte auf einem Parteitag in Karlsruhe eine Strukturreform der CDU. Erst einen Kongress später fand die Frauenquote die nötige Mehrheit.

Nur wenige Jahre ist es her, da scheiterte auf einem Parteitag in Karlsruhe eine Strukturreform der CDU. Erst einen Kongress später fand die Frauenquote die nötige Mehrheit. Heute schicken die Christdemokraten sich an, eine Frau an die Spitze zu wählen. Parteien sind konservativ, Politik ist geduldiges Bohren dicker Bretter mit fragilem Gerät. Gerade die Realpolitiker der Grünen sollten das wissen. Geschlagen ziehen sie mit ihrem Versuch nach Hause, den Satzungsmüll der Trennung von Amt und Mandat zu entsorgen. Dennoch werden es nicht erst ihre Enkel erleben, dass auch in ihrem Verein Parlamentarier Parteichefs werden.

Auf dem langen Marsch von der Anti-Parteien-Partei zur stinknormalen verhalten sich die Grünen wie die meisten Menschen. Sie fügen sich in Veränderungen, die sie für unabweisbar halten, und vermeiden jene, denen sie ausweichen können. So kam es in Karlsruhe zu einer historischen Wende: Wo 20 Jahre zuvor eine bunte Bewegung unter der Forderung nach Sofort-Abschaltung aller Atomkraftwerke zur Partei sich formierte, beschloss sie nun einen Kurs, der den Meilern 30-jährige Laufzeit zubilligt. Dass der grüne Umweltminister für diesen Verrat am Gründungsmythos, mit anderen Worten: für soviel Realismus mit Ovationen bedacht würde - auf diese Idee wäre wohl zuletzt Jürgen Trittin gekommen.

In kaum mehr als einem Jahr in der Regierung ist dies der zweite fundamentale Schritt fort aus dem Fundamentalismus der Anfänge. Unter dem Verantwortungsdruck des Kosovo-Krieges akzeptierten die Raketendepot-Blockierer von einst, dass zu realistischer Friedens- und Menschenrechtspolitik der Gebrauch von Waffengewalt gehören kann. Abschaffung der Bundeswehr, raus aus der Nato - verstaubte Fundstücke wie die roten Traditionsfahnen der SPD; nur dass die Revisionisten und Reformisten in der Sozialdemokratie ein paar Jahrzehnte mehr gebraucht haben, als es die Grünen überhaupt gibt, bis sie ihre Orthodoxie besiegt hatten. Und die antikapitalistische Rhetorik grüner Jugendtage? Heute ist der kleine Partner im Bundestag Gerhard Schröders feinster Verbündeter zur Durchsetzung jener Politik, die von Altlinken und Gewerkschaftern als "neoliberal" verteufelt wird.

Die Grünen haben sich verändert - auf ihre eigene, für Außenstehende oft bizarre Weise, aber mit beträchtlicher Geschwindigkeit. Zu schnell für viele Traditionalisten der Bewegung, aus der sie hervorgegangen sind; zu langsam womöglich, um mit der beschleunigten Entwicklung der Gesellschaft mitzuhalten, geschweige, ihr geistig vorauszueilen. An Stelle der alten sind noch nicht genug neue Stammwähler getreten. Allerdings ist solch gefährlicher Transformationsprozess auch in der jüngeren Parteiengeschichte keineswegs ohne Vorbild: Im Gefolge ihrer Wenden 1969 zur SPD und 1982 zurück zur CDU wechselte die FDP je erhebliche Teile ihrer Wählerschaft. Seither rangiert sie am Rande des politischen Exitus.

Wie schnell Windfallprofits aus der Krise des Partners verwehen, erleben die Grünen, seit die SPD wieder Tritt gefasst hat. Leihstimmen vom großen Bruder sind Lebenselexier der Kleinparteien - gleich, wieviel Mühe sie sich geben. Dennoch bleibt richtig: Die Alternativpartei a. D. macht es sich unnötig schwer. In basisdemokratischer Nostalgie leistet sie sich den Luxus ineffektiver Strukturen nebst einem Parteiapparat, der den Namen kaum verdient. Spitzenpersonal demotiviert sie, statt es zu fördern. Die Grünen: nicht mehr ganz unnormal, immer noch unmöglich. Die Konkurrenz sollte dankbar sein. Ohne ihren Hang zur Unvernunft könnten sie richtig gefährlich werden.

Thomas Kröter

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