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Angela Merkel: Bundestagsdebatte in eigener Sache

Westerwelle und Merkel sitzen schweigend nebeneinander, als die Opposition losschimpft mit dem, was längst politisches Gemeingut ist: alles Mist auf der Regierungsbank. Doch als die Kanzlerin spricht, sitzt der eigentliche Adressat ihrer Rede neben ihrem leeren Stuhl.

Von Robert Birnbaum

Birgit Homburger klagt den Aufstand der Anständigen ein. Wenn der Herr SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier hier im Bundestag gerade beklagt habe, dass dieser Tage Werte verloren gingen, dann solle er doch erst mal in der eigenen Partei für die Rückkehr zur Sachlichkeit sorgen. „Ich bin schon entsetzt, was in diesem Land ohne Aufschrei hingenommen wird!“, ruft die FDP-Fraktionschefin in den Plenarsaal. Neulich bei der Preisverleihung an eine Journalistin habe einer sogar von „Nazis in Nadelstreifen“ gesprochen und Sarrazin und Westerwelle gemeint! Hat den Mann jemand zurechtgewiesen? Hat sich irgend jemand hinter respektive vor Guido Westerwelle gestellt? Homburger blickt anklagend in den Saal.

Aus den Bänken der Opposition schallen erregte Fragen hoch zum Rednerpult. „Wer hat das denn gesagt?“, will Grünen-Fraktionschefin Renate Künast wissen. Aber Homburger spricht weiter, keine Zwischenfragen. Später stellt der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck die Frage amtlich. Homburger muss antworten. Und da zeigt sich: Der Mann mit dem üblen Vergleich war kein Sozialdemokrat, nicht mal Politiker. Es war der frühere „Stern“- Journalist Gerhard Kromschröder.

Der Versuch zur Solidarität mit Guido Westerwelle ist also schon mal etwas danebengegangen. Um so unschöner, als es um diese Solidarität ohnehin nicht richtig gut bestellt ist an diesem Vormittag im deutschen Bundestag. Die Generaldebatte zum Abschluss der Haushaltsberatungen ist normalerweise die Stunde, in der die Opposition die Regierung attackiert und die Regierung sich geschlossen wehrt. Aber an diesem Mittwoch steht die Front ein bisschen quer zum Üblichen. In der Geschlossenheit der Angegriffenen sind feine Risse zu erkennen.

Der sichtbarste Riss verläuft auf der Regierungsbank genau zwischen der Kanzlerin und dem Vizekanzler. Merkel sitzt ganz links außen, Westerwelle sitzt neben ihr. Man hat sich knapp begrüßt, Westerwelle hat sogar kurz die Hand auf Merkels Oberarm gelegt, eine Art von Vertraulichkeit, die sie noch nie leiden konnte. Danach sitzen beide weitgehend stumm nebeneinander und erinnern stark an ein Ehepaar, das noch gut daran tut, dass es sich nichts zu sagen hat.

Um kurz nach neun Uhr tritt Steinmeier ans Pult. Der SPD-Fraktionschef hat sich entschlossen, den Angriff anzuführen und nicht, wie es sonst oft üblich ist, erst mal einen aus der zweiten Reihe als Einheizer vorzuschicken. Warum auch? Das Urteil über die Regierung, das Steinmeier spricht, ist ja seit Wochen so etwas wie politisches Gemeingut. „Deutschland hat eine Regierung, die nicht regiert“, donnert der Sozialdemokrat. „Das kleinkarierte Gezänk, das geht den Menschen doch auf die Nerven!“ Und dass man sich allmählich frage, wovor man mehr Angst haben müsse – „dass diese Regierung sich auflöst oder dass sie an der Arbeit bleibt!“ So könne das – Steinmeier haut sogar aufs Pult dabei – so könne das nicht weitergehen! Und was tue die Kanzlerin? „Nix, wie immer“, ruft einer aus der SPD dazwischen.

Merkel blickt ausdruckslos in den Saal, Westerwelle blickt genauso. Er hat ein paar Mal versucht, mit seiner Nachbarin zu plaudern. Aber Merkel redet, wenn, dann mit CDU-Ministern hinter ihr. Einmal reicht Westerwelle ihr den Pressespiegel herüber, in dem er gerade blättert, zeigt mit abschätziger Miene auf einen Artikel. Merkel liest kurz und gibt das Papier zurück. Vielleicht ist es der aktuelle Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen, der mit dem Satz endet, dass sich bürgerliche Wähler mit Grausen von diesem Bündnis abwendeten? Oder der Kommentar in der „Financial Times Deutschland“, der die Überschrift „Möllemann, der Zweite“ trägt?

Auch Steinmeier ist inzwischen bei Guido Westerwelle angekommen. „Dekadenz war leistungsloser Wohlstand von Oberschichten“, schimpft der SPD- Mann. „Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!“ Wenn überhaupt, dann sei eine solche Bezeichnung nicht für Hartz- IV-Empfänger angebracht, sondern für die da oben, die die Welt in eine beispiellose Finanzkrise gestürzt und auch noch dafür kassiert hätten. „Wir alle wollen, dass sich Leistung lohnt, aber nicht nur für Hotelbesitzer!“

Westerwelle zieht weiter die abschätzige Miene. Merkel hat den Pultordner mit ihrer Rede aufgeschlagen und schreibt etwas hinein. Das kommt vor, dass einem noch was einfällt. Ein bisschen auffällig ist bloß, dass die Kanzlerin sich jedes Mal tief über den Text beugt, wenn Steinmeier auf Westerwelles Hartz-IV-Kampagne zu sprechen kommt.

Als der SPD-Mann fertig ist – „Es ist jetzt wirklich Ihre Verantwortung, Frau Merkel!“ – steht die Regierungschefin auf und geht zur Antwort vorn ans Pult. Man merkt der Rede an, dass selbst Angela Merkel sich höchstens in ein paar trotzigen Halbsätzen traut, der allgemeinen Kritik zu widersprechen. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, „das seinen Namen zu Recht trägt“, ist so ein Halbsatz, der denn auch prompt Hohngelächter bei der Opposition auslöst.

Aber je länger sie redet, desto mehr verfestigt sich der Eindruck, dass der Adressat dieser Ansprache gar nicht die Opposition ist und nicht einmal unbedingt die eigenen Reihen. Der Hauptadressat sitzt neben ihrem jetzt leeren Kanzlerstuhl. Als Westerwelle vor Wochen seine Dekadenz-Tiraden geschwungen hatte, hat der FDP-Chef eine Sozialstaatsdebatte im Bundestag verlangt. Merkel hat das knapp mit dem Verweis auf diese Haushaltsdebatte beschieden.

Das war offenbar ernster gemeint, als es damals erschien. Denn Merkel führt vor, wie man diese Debatte ohne spätrömische Historienbilder führen kann: Mit vielen Zahlen, mit dem Hinweis auf die Kosten der Krise und darauf, dass man bei der Rente so wenig sparen könne wie bei der Gesundheit und also die einzige Möglichkeit darin bestehe, von den fünf Millionen Hartz-IV-Empfängern so viele wie möglich wieder in Arbeit zu bringen. „Wenn wir es hier schaffen, dass immer mehr Menschen aus dieser Situation herauskommen, dann haben wir etwas geschafft!“ ruft Merkel. Die Opposition lacht. Sie glaubt nicht daran. Sie hält auch die Wege für falsch, die Merkel nennt, höhere Zuverdienste etwa. Aber sie ist ja auch gar nicht gemeint. Sie ist vielleicht nicht mal mit Merkels vorletztem Satz gemeint, auch wenn die Kanzlerin dabei in Richtung SPD blickt. Die Debatte über die Zukunft des Landes müsse „mit der notwendigen Ernsthaftigkeit“ geführt werden, sagt sie nämlich.

Muss man noch extra erwähnen, dass Merkel zwar die magischen FDP-Steuerreformworte „niedrig, einfach und gerecht“ gebraucht, wozu Westerwelle sein „Hört ihr’s alle?“-Gesicht aufsetzt, aber weder den FDP-Chef noch den Außenminister mit einem Wort verteidigt? Immerhin, Unionsfraktionschef Volker Kauder nennt Attacken auf den Außenminister „nicht akzeptabel“; die SPD solle sich nicht wundern, wenn die Leute über die Politik so schlecht redeten wie die Politik über sich selbst. „Ein bisschen mehr Intelligenz und ein bisschen mehr Grips!“, ruft Kauder in Richtung der Roten.

Zu dem Schluss sind einige bei den Sozialdemokraten aber auch schon gekommen, allerdings eher aus taktischen Motiven. „Der Mann richtet sich doch selbst“, sagt einer aus der Parteiführung. „Wir sollten mehr still genießen.“ Tatsächlich haben sich die sozialdemokratischen Redner dann später in der Debatte über den Etat des Auswärtigen Amts vergleichsweise mit scharfen Worten zurückgehalten. Natürlich haben sie jene Wirtschaftsdelegationen angesprochen, in denen der Außenminister Freunde der Partei und Geschäftspartner seiner Familie mit auf Reisen nahm. Aber der Hauptvorwurf hieß: „dem Amt nicht gewachsen“.

Westerwelle ist auf all das in der Sache nicht eingegangen. Nur ein ironischer Angriff von Künast kam ihm zupass. Der Außenminister, hatte die Grüne gelästert, habe beim Besuch in Brasilien den Eindruck erweckt, als habe er das Land entdeckt: „Hat er aber nicht!“ Das stimme, sagt Westerwelle, weil, Brasilien entdeckt habe bekanntlich Pedro Alvarez Cabral. Der Portugiese sei übrigens mit 13 Schiffen gekommen – was nur zeige, dass man auch vor 500 Jahren schon von der Nützlichkeit von Delegationen überzeugt gewesen sei. Dass die auch damals schon ein wenig zweifelhaft zusammengesetzt waren, hat der Außenminister lieber nicht erwähnt. Cabrals Flotte bestand zum größten Teil aus Kriegsschiffen.

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