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Politik: Angst macht erfinderisch

Unter dem Druck der Euro-Krise denkt jetzt auch die Bundesregierung über mehr wirtschaftspolitische Koordinierung in der EU nach

Berlin - Noch vor ein paar Monaten wäre wahrscheinlich als hoffnungsloser Idealist verspottet worden, wer einen engeren Zusammenschluss der EU-Staaten erwartet hätte. Doch das Jahr 2011 könnte einen politischen Quantensprung für die Europäische Union bringen. Nicht weil sämtliche Regierenden in der EU über Nacht plötzlich zu Europa-Enthusiasten geworden wären – vielmehr schweißt die Angst die Europäer zusammen, die Angst um den Euro.

Diskutiert wird eine verstärkte wirtschaftspolitische Zusammenarbeit, mit der ein weiteres Auseinanderdriften der Staaten in der Euro-Zone verhindert und eine Angleichung zwischen solide wirtschaftenden Ländern wie Deutschland, Finnland oder den Niederlanden und den Krisenländern an der Peripherie erreicht werden kann. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte beim EU-Gipfel Mitte Dezember an, „die Gemeinsamkeit unserer Wirtschaftspolitiken“ deutlicher darzustellen. Sie hat sich unter dem Druck der Euro-Krise entschieden, dem Drängen Frankreichs nachzugeben, eine EU- Wirtschaftsregierung einzurichten. Auch im neuen Jahr wird für Merkel der entscheidende Partner bei der Umsetzung der EU-Pläne Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sein, der im Jahr 2012 seine Wiederwahl anstrebt und ab jetzt für ein Jahr den Vorsitz der Gruppe der führenden Industrienationen (G-8) inne hat und seit November turnusgemäß auch schon die Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20) anführt.

So leicht sich die politischen Rahmenbedingungen für Merkels und Sarkozys Mission unter der Überschrift „Wir geben dem Euro ein stabileres Fundament“ beschreiben lassen, so vertrackt ist es, eine EU-Wirtschaftsregierung mehr als nur einen Papiertiger sein zu lassen. Setzt dies doch die Bereitschaft voraus, dass die Mitgliedsländer weitere Souveränität an die EU-Ebene verlieren.

Am ehesten erkennbar ist der Wille zu verstärkter Koordinierung in der Haushaltspolitik. So ist beschlossen, dass die EU-Staaten ihre Etats erst der EU-Kommission vorlegen müssen, bevor die Haushalte von den nationalen Parlamenten beschlossen werden können. So soll vermieden werden, dass die EU noch einmal so böse überrascht wird wie im November 2009, als der neu gewählte griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou ein drohendes Staatsdefizit von 12,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes vermeldete. Erlaubt sind eigentlich 3,0 Prozent.

Zudem will die Kommission mehr als bisher bei der Wirtschaftspolitik der EU- Länder mitreden – und Empfehlungen abgeben, wie sich ökonomische Ungleichgewichte unter ihnen abbauen lassen. Dabei sollen nicht die wirtschaftsstarken Länder wie Deutschland gebremst, sondern Krisenländer fit gemacht werden. Als Indikatoren sollen Produktivität, Beschäftigungsquote und Arbeitslosigkeit gelten – sowie die Verschuldung. 

Auch wenn inzwischen europapolitisches Allgemeingut ist, dass am Schuldenabbau nach deutschem Vorbild kein Weg vorbeiführt, soll sich die verstärkte Koordinierung für Sarkozy und Merkel nicht in der Budgetpolitik erschöpfen: Fragen der Wettbewerbsfähigkeit hätten „auch etwas mit Arbeitsrecht und mit Steuerrecht zu tun“, sagte Merkel im Dezember in Freiburg zu Sarkozy. Sie mag dabei insgeheim an ein Treffen mit dem Lissabonner Regierungschef José Socrates gedacht haben, den sie – mit mäßigem Erfolg – zu überzeugen suchte, das komplizierte portugiesische Arbeitsrecht zu vereinfachen.

Schwierig gestaltet sich auch die Diskussion über eine Steuerharmonisierung auf EU-Ebene. Am Beispiel Irlands ist deutlich geworden, dass selbst kleine Schritte zur Vereinheitlichung der Unternehmenssteuern schnell am nationalen Veto scheitern können. In Verhandlungen über das Milliarden-Rettungspaket für Irland verweigerte Dublin eine Erhöhung des niedrigen irischen Körperschaftssteuersatzes von 12,5 Prozent – weil eineinhalb Jahre zuvor die EU zugesichert hatte, nationale Steuergesetze nicht anzutasten.

Offen ist also, welche Eingriffsrechte in die nationale Fiskal-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik eine gemeinsame Wirtschaftsregierung überhaupt haben soll. Merkel will zunächst die Leistungsfähigkeit der nationalen Systeme vergleichen. Aber ob allein der Vergleich etwa von Staatsverschuldung, Renteneintrittsalter und Arbeitsrecht unter den EU-Staaten Reformen motiviert, ist auch unklar.

Eine echte Annäherung etwa in der Steuerpolitik ist wohl am ehesten von Deutschland und Frankreich zu erwarten: Es gibt immerhin schon eine Arbeitsgruppe des Bundesfinanzministeriums und des französischen Rechnungshofes dazu.

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