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Dieter Wedel pflegte sein Aufreißer-Image. Jetzt fällt es ihm auf die Füße.

© Swen Pförtner/dpa

Anschuldigungen gegen Regisseur: Die Weinstein-Werdung Dieter Wedels hilft keinem

Die Unschuldsvermutung spielt bei den Vorwürfen keine Rolle, die Wahrheit ist ohnehin verloren. Wer sexuelle Gewalt anklagen will, mag neue Taten anzeigen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Ein wenig hat es gedauert, fast herrscht jetzt Erleichterung: Es gibt einen deutschen Harvey Weinstein, er heißt Dieter Wedel und ist ein Regisseur, der sich im Laufe seiner Karriere in der einen oder anderen Weise an Frauen vergriffen haben soll. Das Aufreißer-Image, das dem Mann selbst einmal gefallen zu haben schien, wendet sich nun als Missbrauchsvorwurf gegen ihn. Eine ehemalige Bundesjustizministerin mahnt, die Unschuldsvermutung zu respektieren.

Ein Wunsch, der unerfüllt bleiben wird. Die Unschuldsvermutung bindet zunächst nur staatliche Stellen, die mit diesem Fall in strafrechtlicher Hinsicht nie etwas zu tun hatten oder haben werden. Es klingt nach sexueller Nötigung, was Zeuginnen berichten. Aber das ist verjährt. Aufklärung ist kaum zu erwarten. Vielleicht ein presserechtliches Nachspiel, das für alle teuer und niemandem helfen wird. Wedel bestreitet die ihm vorgeworfenen Taten, er tut dies möglicherweise sogar mit reinem Gewissen. Doch das bedeutet wenig. Es werden genug Anekdoten mitgeliefert, die ein hässliches Bild vervollständigen. Das reicht bei vielen für den Schuldspruch.

Was hat er "verdient"? Als Unperson zu gelten?

Man kann dieser Art des öffentlichen Tribunals auch etwas abgewinnen. Es stigmatisiert ein (Gesamt-)Verhalten, das unabhängig davon zu missbilligen ist, ob die Vorwürfe im Einzelnen zutreffen. Wedel wäre demnach vielleicht nicht schuldig im engeren Sinn. Aber er hat es „so verdient“. Andererseits müsste man sich wohl fragen, was er da verdient hat. Öffentlich als Vergewaltiger hingestellt zu werden? Fortan als Unperson zu gelten? Dass seine Filme auf den Index kommen?

Das Problem eines Medientribunals ist weniger, dass es die Unschuldsvermutung außer Kraft setzt. Folgenreicher ist, dass Verjährungsregeln ignoriert werden und es an der Bestimmtheit der Strafe fehlt. Dass Charakterzüge statt Tatbestände verhandelt werden, dass ein Urteil nicht begründet werden muss, dass Richter fehlen und statt des Staatsanwalts die Opfer anklagen, während das Publikum die Strafe vollstreckt. Hier die Unschuldsvermutung anzumahnen unterstellt, dass ansonsten ein geordnetes Verfahren ablaufen kann. Eine fernliegende Annahme. Justizminister, auch ehemalige, werten derartige Abläufe durch solche Kritik nur auf.

Sexuelle Übergriffe sind nicht erst seit gestern widerlich

Es fällt deshalb schwer, die Weinstein-Werdung Wedels als sittenbildenden Fortschritt zu begrüßen und zu hoffen, dass weitere Exempel folgen. Fortschritt ereignet sich auch ohne Medientribunale. In der öffentlichen Debatte war hinreichend klar, dass solche Übergriffe und Verhaltensweisen, ob ohne oder mit Gewalt, widerlich sind. Die Einsicht ist auch nicht so neu, wie sie gemacht wird. In den Medientribunalen werden auffällig viele Altfälle verhandelt. Wer aktuell etwas anzuklagen hat, der klage an. Jetzt. Dann gibt es auch die Chance auf ein faires Verfahren.

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