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Politik: Armenischer Journalist ermordet

Istanbul - Hrant Dink hatte es geahnt. Der 53-Jährige war als prominentester Vertreter der Armenier in der Türkei zur Hassfigur für extreme Nationalisten in seinem Land geworden, und er hatte viele Morddrohungen erhalten.

Istanbul - Hrant Dink hatte es geahnt. Der 53-Jährige war als prominentester Vertreter der Armenier in der Türkei zur Hassfigur für extreme Nationalisten in seinem Land geworden, und er hatte viele Morddrohungen erhalten. „Vielleicht töten sie mich“, sagte Dink erst vor kurzem zu seinem Anwalt. Am Freitagnachmittag schlugen seine Feinde zu. Kurz nach dem Mittagessen in der Redaktion seiner Zeitung „Agos“ wurde der türkisch-armenische Journalist von einem Unbekannten auf die Straße gebeten. Drei Kugeln schoss der Unbekannte in Kopf und Körper seines Opfers. Dink war sofort tot. Ein sichtlich geschockter Premier Recep Tayyip Erdogan sprach von einem „Anschlag, der dem ganzen Land gilt“: Der Mord an Dink führt den Türken und auch der EU mit aller Brutalität vor Augen, wie schwach die türkische Demokratie trotz aller Reformen ist.

Fernsehbilder vom Tatort im Istanbuler Stadtteil Sisli zeigten Dinks auf dem Bauch liegende Leiche, die mit einem weißen Tuch zugedeckt war. Ein Blutrinnsal war zu sehen, auf dem Pflaster rollte eine leere Patrone hin und her. Dinks Anwalt Erdal Dogan berichtete, die Drohungen hätten sich zuletzt so gehäuft, dass er und sein Mandant sich an die Staatsanwaltschaft gewandt hätten. In seinem letzten Beitrag für „Agos“ hatte Dink geschrieben, sein Computer sei voll mit Hassbriefen.

Der Grund dafür war, dass sich Dink zu seiner armenischen Identität bekannte und dass er es wagte, von einem Völkermord der Türken an den Armeniern im Ersten Weltkrieg zu sprechen. Nationalisten hatten ihn unter dem Vorwurf, das „Türkentum“ beleidigt zu haben, vor Gericht gebracht und eine Verurteilung erwirkt. Der nationalistische Anwalt Kemal Kerincsiz hatte Dink mehrmals aufgefordert, die Türkei zu verlassen. Die Polizei sucht nun nach einem etwa 19-jährigen Verdächtigen, der von Augenzeugen beobachtet worden war.

Am Freitagabend zogen tausende Menschen in einem Trauermarsch durch die Innenstadt Istanbuls Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer und Politiker aller Parteien verurteilten den Anschlag. Auch EU-Vertreter äußerten sich geschockt. Der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Hakki Keskin, der nach Berichten des Tagesspiegels über seine Haltung in der Armenienfrage in die Kritik geraten war, äußerte „tiefe Bestürzung und Empörung“. Bei Anhängern der Reformbewegung in der Türkei wurde neben Trauer auch Kritik am Zustand der türkischen Demokratie laut. „Es ist immer wieder dasselbe“, sagte der Chefredakteur der proeuropäischen Tageszeitung „Radikal“, Ismet Berkan: „Menschen, die etwas von der Mehrheit abweichen, werden verfolgt.“

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