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Wohnlager von Obdachlosen unter einer Brücke in Bonn

© picture alliance /JOKER

Armut in Berlin: Wohnungslose brauchen schnellen Schutz vor dem Winter

In Deutschland gibt mehr als 300.000 Frauen, Männer und Kinder ohne feste Wohnung. Berlins neue Sozialsenatorin Elke Breitenbach will in der Hauptstadt rasch für Hilfe sorgen.

Die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland steigt. Die Bundesregierung geht davon aus, dass es 2014 rund 335.000 Männer, Frauen und Kinder ohne eigene Wohnung gab, das wären fast 90.000 mehr als im Jahr 2010. Die meisten von ihnen sind in Heimen, in Hostels und bei Helfern untergebracht. Wie viele im Land tatsächlich ganz ohne Obdach sind, ist hingegen unklar. Die Zahlen gehen aus einer Antwort des Sozialministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion hervor.

Für die kommenden Nächte werden Temperaturen von bis zu minus sieben Grad vorhergesagt. Der neue Berliner Senat will umgehend massiv gegen Obdachlosigkeit vorgehen. Das sagte die designierte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) dem Tagesspiegel. „Wir werden schnell Gespräche mit allen beteiligten Sozialverbänden führen.“

In Berlin gelten rund 17.000 Männer, Frauen und Kinder als wohnungslos. Dazu kommen – groben Schätzungen zufolge – 5000 Menschen ganz ohne Obdach. Einige von ihnen suchen bei Frost die 700 Berliner Notschlafplätze auf. Der neue Senat möchte sie auf 1000 erhöhen. Vor wenigen Tagen eröffnete die Stadtmission eine Traglufthalle in Lichtenberg, die gemeinnützige Gebewo eine Notübernachtung in Charlottenburg. Dutzende Sozialeinrichtungen kümmern sich um Wohnungs- und Obdachlose.

Viele Polen in Berlin wohnungslos

Die Bundesregierung erklärte, Wohnungslosigkeit liege „vielfach nicht in fehlendem Wohnraum begründet, sondern hat in der Regel eine Reihe anderer sozialer und zum Teil auch psychosozialer Ursachen“. Dass familiäre Probleme, Sucht, Unfälle, aber auch Ausbeutung und Straftaten eine Rolle spielen können, bestätigen Sozialexperten. Wer beruflich und privat scheitert und – vorerst – seine Wohnung verliert, schafft es zuweilen nicht, anstehende bürokratische Vorgaben zu erfüllen und Fristen einzuhalten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe rechnet bis 2018 mit 536.000 Wohnungslosen in Deutschland.

„Es sind nicht mehr fast ausschließlich weiße Männer unterwegs“, sagte Breitenbach. „Immer mehr Frauen leben auf der Straße, außerdem gibt es mehr Obdachlose, die aus anderen Ländern stammen. Da müssen wir die Hilfen anpassen.“ Schwer haben es Wohnungs- und Obdachlose, die als Arbeitsmigranten nach Deutschland kamen. Helfer, Beamte und Notärzte gehen davon aus, dass deutlich mehr als die Hälfte der Berliner Obdachlosen aus Ländern der Europäischen Union (EU) kam, etwa Polen, Bulgarien und Rumänien.

Elke Breitenbach: Lohnräuber verfolgen

Vermutet wird, dass massive Ausbeutung und Wirtschaftskriminalität dazu beitragen, dass sie ihre Wohnungen verlieren: Melden Firmen plötzlich Insolvenz an oder prellen Mitarbeiter um Lohn, landen insbesondere diejenigen auf der Straße, die weder Familie noch Jobalternativen vor Ort haben. Der Zugang zu Sozialleistungen für EU-Ausländer ist begrenzt.

Breitenbach zufolge gibt es Fälle, wonach Arbeitnehmer in den von ihren Auftraggebern bereitgestellten Unterkünften wohnen. Streiten sich Vorgesetzte und Beschäftigte, können Letztere ihre Wohnstätte verlieren. Breitenbach verwies auf den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag. Darin heißt es, der Senat wolle „Möglichkeiten einer vorübergehenden Unterbringung“ schaffen, damit betrogene Arbeitnehmer „für die straf- und steuerrechtliche Verfolgung zur Verfügung stehen“.

Lesen Sie eine ausführliche Reportage aus der Obdachlosen-Szene auf Seite 3 der gedruckten Tagesspiegel-Ausgabe von Dienstag, 6. Dezember, im E-Paper oder im digitalen Kiosk Blendle.

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