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In kurzen zeitlichen Abständen wurden gleich mehrere Armutsberichte veröffentlicht. Welcher liefert die zuverlässigsten Zahlen?

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Armutsberichte: Die Tücken der Statistik

Studien zur sozialen Lage in Deutschland haben Konjunktur. Gelegentlich kommen sie auch zu widersprüchlichen Ergebnissen. Welcher Statistik kann man überhaupt noch vertrauen?

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In der vorweihnachtlichen Zeit nimmt der Mensch gemeinhin besonders viel Anteil. Vielleicht erklärt das, warum gerade jetzt so viele Berichte über Armut in Deutschland auf den Markt kommen. Allein in dieser Woche wurden drei Studien vorgelegt – eine vom wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums, eine andere von der Nationalen Armutskonferenz und jüngst wieder der traditionelle Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbands. Im vergangenen halben Jahr waren es knapp ein Dutzend Studien, die sich allein mit diesem Thema befassten. Im Ergebnis allerdings unterscheiden sie sich allerdings ganz wesentlich voneinander – und hinterlassen ein ziemliches Durcheinander bei der Beurteilung der sozialen Lage im Land. Da drängt sich die Frage auf, was nun eigentlich stimmt und wie arm Deutschland wirklich ist.

Natürlich spielen Interessenlagen eine Rolle. Regierung und arbeitgebernahe Institute vermitteln das Bild, dass die Kluft zwischen Arm und Reich schwindet. „Genauso wie Arbeitslosenzahlen nach unten gerechnet werden, geschieht das auch bei Zahlen zur Armut“, sagt der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge. Sozialverbände oder Gewerkschaften dagegen warnen zumeist vor einem zunehmenden Wohlstandsgefälle und den daraus resultierenden Gefahren für die Gesellschaft. Dabei sollte man annehmen, dass die unterschiedlichen Armutsstudien zumindest auf ähnliche Bewertungsmaßstäbe zurückgehen. Der Armutsdefinition zum Beispiel.

Doch weit gefehlt. Einen „allgemein verbindlichen Armutsbegriff“ gebe es nicht, sagt Butterwegge. Für die einen sei arm, wer seine Grundbedürfnisse nicht befriedigen könne, andere legten die Hartz-IV-Sätze als Grenzwert an oder beziehen sich auf den EU-Standard. Demnach gelten jene als „armutsgefährdet“, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung auskommen müssen. Und als wirklich „arm“ werden diejenigen bezeichnet, die weniger als 50 Prozent des Durchschnittseinkommens erzielen.

Will man jedoch die Anzahl armer Kinder ermitteln, fällt das Einkommen als Kriterium heraus. Dann findet der sogenannte Lebenslageansatz Verwendung, der weichere Faktoren wie das Wohnumfeld heranzieht – was statistisch oft viel schwieriger zu erheben sei, wie Butterwegge sagt. So kommt es, dass in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung im Oktober die Zahl der Kinder, die in Armut aufwachsen, weiter als rückläufig angegeben wird, während die gewerkschaftsnahe Hans- Böckler-Stiftung von einer gleichbleibend hohen Anzahl armer Kinder berichtet. „Die Kriterien setzt jeder anders an“, sagt der Armutsforscher. Aber selbst wenn dieselbe Definition als Grundlage genommen werde, könnten am Ende völlig verschiedene Dinge herauskommen. Denn auch die Datenquellen beeinflussen das Ergebnis.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband legt für seinen Armutsbericht wie die Böckler-Stiftung den Mikrozensus zugrunde. Zum einen, sagt Geschäftsführer Ulrich Schneider, seien dessen Daten die aktuellsten, zum andern sei diese Erhebung wegen der Vielzahl der Beteiligten besonders zuverlässig. An der jährlichen Befragung durch die Statistischen Landesämter und das Statistische Bundesamt nehmen ein Prozent aller Privathaushalte in Deutschland teil. Das sind etwa 390 000. Andere Studien – wie etwa die Erhebung „Leben in Europa 2011“ durch das Statistische Bundesamt oder eine Armutsstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung – dagegen stützen sich auf das sozioökonomische Panel. Dafür werden nur 12 000 bis 20 000 Haushalte befragt.

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