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Politik: Armutszeugnis im Wartezimmer

Studie: Ärzte bevorzugen Privatpatienten

Berlin - Am schlimmsten ist die Ungleichbehandlung bei den Orthopäden. 17,3 Prozent der Kassenpatienten mit akuten Beschwerden müssen dort länger als vier Wochen auf einen Termin warten. Sind die Kranken privat versichert, geht es deutlich schneller: Nur 2,4 Prozent dieser Klientel müssen sich nach einer aktuellen Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK über einen Monat gedulden, bis sie ein Knochendoktor untersucht.

Was ehrliche Ärztelobbyisten nicht abstreiten, ist nun auch wissenschaftlich erwiesen: Gesetzlich Versicherte werden beim Zugang zu niedergelassenen Ärzten klar benachteiligt. Und das quer durch alle Fachrichtungen. Vor seinem letzten Arztbesuch hat jeder vierte Kassenpatient (25,3 Prozent) trotz Beschwerden mindestens zwei Wochen warten müssen, so die Studie. Bei privat Versicherten war es nur jeder Zwölfte (7,8 Prozent).

Besonders auseinander geht die Schere im Osten – wo Kassenärzte nur in jedem hundersten Fall einen privat Versicherten vor sich haben. Der ist dann offenbar besonders begehrt oder nötig fürs Budget. Zwar nimmt die Warterei mit steigender Ortsgröße ab. Doch Zweiklassentermine sind auch in Großstädten üblich. Jeder fünfte Kassenpatient mit Beschwerden musste dort länger als 14 Tage warten, bei privat Versicherten nur jeder Vierzigste.

Die Unterschiede gelten auch für Vorsorgeuntersuchungen. Auf Darmspiegelungen, so hat der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach herausgefunden, müssen Kassenpatienten im Schnitt zwei Monate warten, privat Versicherte hingegen nur 14 Tage. Dies könne drastische Folgen haben, sagte der SPD-Politiker dem Tagesspiegel am Sonntag. Viele Patienten verlören bei derart langem Warten das Interesse an der Untersuchung. Gefährliche Tumore würden später entdeckt. Und die Chance, besonders qualifiziert untersucht zu werden, sinke auch. „Je spezialisierter der Arzt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass er vornehmlich oder ausschließlich für privat Versicherte arbeitet.“ Deshalb sei „schon jetzt nicht auszuschließen, dass sich die Darmkrebs- Sterblichkeit bei gesetzlich und privat Versicherten auseinanderentwickelt“.

Lauterbach nannte es „das größte Versagen“ der aktuellen Reform, „dass sie die bestehende Zweiklassenmedizin toleriert“. Es sei ein „Armutszeugnis“, dass man dieses Thema „auf Drängen der Union aus den Verhandlungen ausklammern musste“.

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