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Zwei reichen nicht. Erst ab vier Kindern zahlen Familien in die Krankenversicherung tatsächlich weniger ein, als sie herausbekommen.

© dpa

Krankenversicherungsbeiträge: Auf Kosten der Familien

Eine Studie belegt: Die beitragsfreie Mitversicherung in den gesetzlichen Krankenkassen ist eine Mogelpackung. Die meisten Eltern bezahlen über ihre Beiträge weit mehr, als sie an Leistungen erhalten.

Berlin - Wenn Politiker herausstellen wollen, wie großzügig Familien hierzulande gefördert werden, taucht sie garantiert als gewichtiger Posten auf: die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und nicht erwerbstätigen Ehepartnern in den gesetzlichen Krankenkassen. In ihrer Auflistung aller „ehe- und familienbezogenen Maßnahmen“ etwa verweist Familienministerin Kristina Schröder (CDU) ausdrücklich auf die mehr als 29 Milliarden Euro, die man sich diese Hilfe jährlich kosten lasse. Doch nun belegt eine Studie: Familien mit Kindern sind keineswegs Nutznießer des Systems. Unterm Strich zahlen sie über ihre Beiträge weit mehr ein, als sie an Gesundheitskosten verursachen.

In der Erziehungsphase seien die meisten Eltern „Nettozahler, die mit ihren Beiträgen vor allem die Gesundheitskosten der älteren Generation mitfinanzieren“, schreibt der Gesundheitsökonom Frank Niehaus in einer Bertelsmann-Studie, die dem Tagesspiegel vorliegt. Die gezahlten Beiträge deckten, ein Durchschnittseinkommen zugrunde gelegt, erst bei drei Kindern „in etwa die eigenen Gesundheitsausgaben“. Und nur mit vier oder mehr Kindern verursachten Familien in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Kosten, die höher als ihre eingezahlten Beiträge seien. Derart kinderreich seien hierzulande aber gerade mal zwei Prozent aller Familien.

Im Schnitt benötige eine vierköpfige Familie nicht einmal ein Jahreseinkommen von 34 000 Euro, um ihre Gesundheitsleistungen komplett durch eigene Beiträge zu decken, so Niehaus. Kinder und junge Erwachsene produzierten nämlich, vom Geburtsjahr abgesehen, nur niedrige Kosten. Deutlich teurer werde es erst bei über 50-Jährigen. Das Umlageverfahren der GKV sei vor allem darauf ausgerichtet, den Ausgleich „Jüngere für Ältere“ zu organisieren. Und die Belastung für diesen Ausgleich sei „so groß, dass der ebenfalls intendierte Familienausgleich faktisch keine Wirksamkeit entfalten kann“.

Dass Niehaus im Hauptberuf das Wissenschaftliche Institut der privaten Krankenversicherer leitet, die sich keinen Deut um einen Familienausgleich scheren, ändert nichts an seinem Befund. Eltern würden in der GKV nicht entlastet, sondern doppelt belastet, resümiert der Wissenschaftler. Sie finanzierten nicht nur die höheren Ausgaben für ältere Versicherte mit, sondern sicherten über ihre Kinder auch den Systemerhalt. Höhere Steuerzuschüsse änderten nichts an der Situation. Parallel nämlich würden Familien „durch den höheren Beitragssatz, die gestiegene Bemessungsgrenze und die zunehmende Erwerbsbeteiligung von beiden Elternteilen in wachsendem Maße zur Finanzierung der Gesundheitsausgaben herangezogen“. Und die Ausgaben für Ältere hätten besonders stark zugelegt.

Der hessische Sozialrichter Jürgen Borchert, der seit langem für eine Entlastung von Eltern kämpft, sieht sich durch die Studie bestätigt. „Die Vorstellung, dass Familien in der GKV auf Händen getragen werden, ist komplett falsch“, sagt er. Richtig sei das Gegenteil: „Familien sind die Leistungsträger für die steigenden Gesundheitskosten der alternden Gesellschaft.“ Als Konsequenz fordert Borchert ein „Ende der semantischen Maskerade“. Eine beitragsfreie Mitversicherung gebe es nicht und habe es nie gegeben. Im Bruttoeinkommen des erwerbstätigen Elternteils sei der Unterhaltsanteil für die komplette Familie enthalten. Und da deren Größe für die Beitragsbemessung keine Rolle spielt und es hierfür – anders als im Steuerrecht – keine Freibeträge gibt, zahle de facto „jedes Familienmitglied Beiträge aus seinem Unterhaltsanspruch“.

Die Studie werfe für die Sozial- und Familienpolitik „schwerwiegende und weitreichende Fragen auf“, sagt Borchert und erinnert an das Pflegeurteil des Verfassungsgerichts von 2001, aufgrund dessen Kinderlose höhere Pflegebeiträge zu zahlen haben. Die folgerichtige Übertragung auf Renten- und Krankenversicherung sei nicht erfolgt. Nun aber sei „belegt, dass Eltern in den Sozialsystemen ausgebeutet werden“ und vom Gesetzgeber „um Dutzende Milliarden Euro geprellt wurden“.

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