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Merkel

© dpa

Aufbau West: Merkel macht rüber

In Zeiten der Krise redet Bundeskanzlerin Angela Merkel vom Nachholbedarf im Westen – doch dem Osten will niemand etwas nehmen.

Von Matthias Schlegel

Es ist ein vermintes Gelände, das die Bundeskanzlerin da betreten hat. Einem „Aufbau West“ das Wort zu reden, musste, noch ehe die sachliche Berechtigung des Begriffs überprüft worden wäre, jene üblichen Ost-West-Neidreflexe auslösen. Auch deshalb ist etwa der Merkel-Biograf Gerd Langguth, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn, sehr verwundert darüber, dass die Kanzlerin überhaupt davon gesprochen hat, der Westen müsse bei anstehenden Investitionen nun stärker zum Zuge kommen.

Langguth hält das für eine „unbedachte Äußerung“, auch wenn er im Gespräch mit dem Tagesspiegel einräumt, dass es tatsächlich Nachholbedarf bei Infrastrukturinvestitionen im Westen gebe. Er glaubt aber, dass Merkels Worte kein wahltaktisches Manöver sind, auch wenn sie damit vielen Menschen im Westen aus dem Herzen spricht. Vielmehr sei sie wohl ökonomischen, weniger politischen Ratgebern gefolgt. Auch Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in Dresden, bezeichnet Merkels Äußerungen als „unglücklich“, weil sie dazu geeignet seien, Ost und West gegeneinander auszuspielen.

Merkel selbst hatte noch am Donnerstag versucht, ihre Äußerungen zu relativieren. Auch die Ost-Ministerpräsidenten mit CDU-Parteibuch waren bemüht, den Vorstoß nicht auf einen Ost-West- Konflikt hinauslaufen zu lassen. Die harschen Reaktionen aus der SPD – von Klaus Wowereits Dummheits- bis zu Carsten Schneiders Spaltervorwurf – verdeckten freilich, dass sich auch Aufbau-Ost-Minister Wolfgang Tiefensee (SPD) vor ein paar Monaten ähnlich geäußert hatte wie nun die Kanzlerin. Die Linkspartei schlug tags darauf noch einmal in die Kerbe: Als jemand, der in Ostdeutschland geboren ist, handle Merkel „unverantwortlich“, kritisierte Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch im ZDF.

Einen neuen, dauerhaften Streit über Verteilungsgerechtigkeit zwischen Ost- und Westdeutschland dürfte die Kanzlerin indes nicht ausgelöst haben. Zwar nahmen Städtetag sowie Städte- und Gemeindebund Merkels Pass sofort auf. Und auch Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) mahnte im Inforadio des RBB, dass das Geld zum Ausbau der Infrastruktur „nicht nach Himmelsrichtung“ verteilt werden dürfe, sondern danach, wo der größte Bedarf besteht. Doch das ist schon eine Interpretation, die über Parteigrenzen unstrittig ist. Denn einig sind sich alle: Am Solidarpakt II, der dem Osten noch bis 2019 – wenn auch stetig verringerte – Mittel zufließen lässt, wird nicht gerüttelt. So bleibt die Frage, wie im Zuge der Ankurbelung der Konjunktur wirklich bedürftige Städte und Regionen konkret bedacht werden können. Und da liegt bislang noch alles im Nebel. Vermutlich werden die Kommunen ihren Bedarf anmelden müssen, der dann geprüft wird. Nach einem noch zu vereinbarenden Schlüssel wird über die Finanzierung zu entscheiden sein, wobei besonders bedürftigen Kommunen bei der Bereitstellung des Eigenanteils geholfen wird.

Der Dresdner Wirtschaftswissenschaftler Ragnitz geht davon aus, dass bei alledem ganz bewusst auf Konjunktur impulse gesetzt wird. Und weil im Westen bedeutendere konjunkturelle Möglichkeiten bestünden, werde wohl das meiste Geld auch dorthin fließen. Im Westen gebe es nun einmal den größeren Investitionsstau. Dass aber etwa Mittel, die durch die rückläufigen Solidarpakt-Leistungen eingespart werden, einfach in den Westen umgeleitet werden, hält er für ausgeschlossen: Sie seien in die mittelfristige Finanzplanung schon eingestellt. Schließlich bleibe das Ziel der Haushaltskonsolidierung bestehen. Im Übrigen würde eine solche Umverteilung das gesamte System des Länderfinanzausgleichs aushebeln.

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