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Aufenthalt: Streit um Visafreiheit für Türken

Viele Türken in Deutschland hegen derzeit die Hoffnung, dass ihre Verwandten und Freunde aus der Türkei bald kein Visum mehr beantragen müssen, wenn sie zu Besuch kommen. Grund zur Zuversicht bietet ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs.

Berlin - Tagelanges Anstehen vor der deutschen Botschaft in Ankara könnte für türkische Touristen bald Geschichte sein: Viele Türken in Deutschland hegen derzeit die Hoffnung, dass ihre Verwandten und Freunde aus der Türkei bald kein Visum mehr beantragen müssen, wenn sie zu Besuch kommen. Grund zur Zuversicht bietet ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg vom Februar, wonach Lastwagenfahrer aus der Türkei kein Visum mehr brauchen, wenn sie als Dienstleister einreisen. Rechtsexperten haben inzwischen erklärt, im Umkehrschluss ergebe das sogenannte Soysal-Urteil, dass auch Empfänger von Dienstleistungen ohne Visum einreisen dürfen – also jeder, der bei seinem Besuch in Deutschland etwa zum Frisör geht oder etwas einkauft.

Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat diese Sichtweise anfangs strikt abgelehnt und ließ erklären, der Rechtsspruch des EuGH betreffe „ausschließlich türkische Lastwagenfahrer“. Inzwischen hat die Bundesregierung ihre Haltung gelockert. Vergangene Woche erklärte sie, türkische Staatsangehörige brauchten von nun an kein Visum mehr, wenn sie als Handwerker, Monteure oder im Güter- und Personenverkehr im Auftrag einer Firma aus der Türkei kommen. Auch Künstler und Wissenschaftler dürften in Zukunft für Vorträge ohne Passvermerk einreisen, wenn sie höchstens zwei Monate bleiben. „Konsequenzen in Bezug auf weitere Personengruppen sind aus Sicht der Bundesregierung nicht veranlasst“, so Schäubles Ministerium.

Klaus Dienelt, Richter am Verwaltungsgericht Darmstadt, hält die Haltung der Politik für „unvereinbar“ mit der Rechtsprechung des EuGH. Die Freiheit, sich in einen Mitgliedstaat zu begeben, um eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, gehöre ebenso zur Dienstleistungsfreiheit wie sie anzubieten. Mit dem Assoziierungsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (heute EU) wurde 1963 ein freier Dienstleistungsverkehr vereinbart. 1970 wurde ein Zusatzprotokoll angefügt, wonach beide Seiten „keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen“ haben. Als diese „Stillhalteklausel“ festgelegt wurde, brauchten Türken noch kein Visum, um nach Deutschland zu gelangen. Erst 1980 hoben die Bundesrepublik und andere EG-Staaten die Visafreiheit für Türken auf, weil die Zahl der Asylbewerber aus dem politisch angespannten Land stark stieg. Das ist – nach Auslegung zahlreicher Experten – bis heute nicht rechtmäßig.

Kurze Zeit nach Verkündung des Urteils hatte es deswegen einen Eklat gegeben: Die Polizeirecht-Experten Volker Westphal und Edgar Stoppa hatten auf ihrer Internetseite „Ausländerrecht für die Polizei“ das Urteil aus Luxemburg wie üblich für den Grenzalltag übersetzt. „Türkische Staatsangehörige können ab sofort (wieder) ohne Visum einreisen“, stand da, „wenn sie einen Aufenthalt von höchstens drei Monaten planen und keine Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen“. Die Experten erklären: „1973 konnten türkische Touristen für Aufenthalte von bis zu drei Monaten visumfrei nach Deutschland einreisen. Dieses Recht besteht seit dem genannten Datum uneingeschränkt fort.“ Kurz darauf wurde die Seite, die bislang über das Intranet der Bundespolizei zu erreichen war, für die Grenzschützer „auf Anweisung der Bundespolizei“ gesperrt.

Ferda Ataman

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