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Bild aus einen zerrütteten Land: Bei den Ausschreitungen in Südafrika (hier eine Szene aus Soweto vom 13.Juli) kam mindestens 72 Menschen zu Tode.

© Themba Hadebe/AP/dpa

Aufstände in Südafrika: Auch Staaten verdienen eine zweite Chance

Nach einer Welle der Gewalt warnen Beobachter: Südafrikas Existenz steht auf dem Spiel. Es wäre das Ende eines einzigartigen Menschheitsprojekts. Ein Kommentar.

Die einen sehen in ihnen jene Hungeraufstände, die sie schon seit Jahren vorausgesagt haben. Für andere sind sie ein zynischer Putsch-Versuch, den korrupte Mitglieder der Regierungspartei ausgeheckt haben, um nicht hinter Gittern verschwinden zu müssen.

Die beispiellose Plünderungswelle, die in den vergangenen Tagen über Südafrika schwappte, ließ die Köpfe der Kommentatoren am Kap der Guten Hoffnung heiß laufen: Ihre Analysen fallen genauso widersprüchlich aus wie die Stimmen im regierenden ANC selbst. Sie stehen auch für das tiefe Zerwürfnis innerhalb der einst ehrenwerten Partei Nelson Mandelas selbst.

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In einem Land wie Südafrika ist womöglich nichts auf einen Nenner zu bringen. Zu vielfältig und verworren sind die Rassen-, Klassen- und Interessenkonflikte: Sie haben die Multikulti-Nation zu einem der komplexesten und unberechenbarsten Staaten der Erde gemacht. Analysten behelfen sich damit, dass sie für die Zerstörungswelle gleich mehrere Gruppen verantwortlich machen: die Armen, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen; Anstifter, die sich von einer Destabilisierung des labilen Schwellenlandes politische Gewinne und Straffreiheit versprechen. Schließlich Klein- sowie Großkriminelle, die Südafrika spätestens seit der RegierungszeitJacob Zumas unterwandert haben.

Tausende schützen "ihre" Einkaufszentren vor Plünderern

Alle zusammen treiben das Land auf den Abgrund zu: Die Existenz Südafrikas stehe auf dem Spiel.

Gleichzeitig machten Tausende von Südafrikanern klar, dass ihnen am Aufbau ihrer Heimat gelegen ist: Sie schützten nächtelang „ihre“ Einkaufszentren vor Plünderern und stellten sich als freiwillige Wiederaufbauhelfer zur Verfügung. Nun ist die Regierung dran: Wenn sich ihre Antwort in der Aktivierung von Polizisten, Soldaten und Geheimdienstlern erschöpft, hat sie gleich wieder verloren. Südafrika braucht eine sozialpolitische Wende, einen New Deal, der das größte Wohlstandgefälle der Welt verringert. Die Einführung eines Grundeinkommens wäre eine Möglichkeit.

Klar: Das kostet Geld, und das gibt es in Südafrika spätestens seit dem Raubzug Jacob Zumas und der dritten Welle der Corona-Pandemie nicht mehr. Die Plünderungswelle wird das Land eine weitere Milliarde Euro kosten, das dürftige Wirtschaftswachstum soll noch um 0,7 Prozent geringer ausfallen. In dieser Lage ist Cyril Ramaphosa auf jede Hilfe angewiesen: Nur der ehrlich besorgte ANC-Chef mit der sauberen Weste kann die Regierungspartei auf Reformkurs bringen. Möglicherweise stellen nun Wirtschaftskapitäne angesichts der jüngsten Gewalt ihre Investitionen in Frage. Doch auch Staaten verdienen eine zweite Chance. In Südafrika steht ein einzigartiges Menschheitsprojekt auf dem Spiel: Einen zutiefst ungerechten Staat (von dem einst auch deutsche Unternehmen profitierten) in ein Musterland der Vielfalt zu verwandeln.

Johannes Dieterich

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