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Politik: Ausbruch mit politischen Folgen

In Schleswig-Holstein erregt mitten im Landtagswahlkampf eine Justizaffäre die Gemüter

Über mangelnde Unterstützung kann sich Heide Simonis nicht beklagen. Je zweimal werden Kanzler Schröder und SPD-Chef Müntefering im Wahlkampf auftreten, damit die eigenwillige Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein den Hut aufbehält. Die SPD-Oberen wissen: Verliert Simonis im Februar, wird es im Mai schwer, das Stammland Nordrhein-Westfalen zu verteidigen. Und geht NRW verloren, schwindet auch die Macht im Bund. Simonis und ihr CDU-Herausforderer Peter Harry Carstensen liegen in Umfragen derzeit Kopf an Kopf, jede Kleinigkeit kann entscheiden.

In den Augen vieler Schleswig-Holsteiner und der Opposition handelt es sich beim Ausbruch des Schwerverbrechers Christian Bogner aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Lübeck-Lauerhof nicht um eine Kleinigkeit, sondern um einen Skandal. Auch Simonis selbst ist beunruhigt. Sie muss befürchten, dass „der knallharte Krimi“ für ihre rot-grüne Koalition zur Belastung im Wahlkampf wird. Vor allem die Justizministerin Anne Lütkes (Grüne), eine Anhängerin des liberalen Strafvollzugs, steht im Fall Bogner unter Druck.

Denn Bogner konnte sich bei seiner filmreifen Flucht am 26. Oktober eines Hubwagens sowie einer Leiter bedienen, die er zuvor in der Anstaltsschlosserei gefertigt hatte. Warum ihn die JVA-Leitung dort arbeiten ließ, ist ein Rätsel. Der 48-Jährige war im Laufe seiner Knastkarriere nicht nur sieben Mal aus verschiedenen Gefängnissen ausgebrochen, er stellt psychologischen Gutachten zufolge auch eine „Gefahr für die Allgemeinheit“ dar. Ein Gericht ordnete deshalb seine Sicherheitsverwahrung im Anschluss an eine zehnjährige Haftstrafe wegen schweren Bankraubs an. Simonis: „Der hätte gar nicht in die Schlosserei gedurft.“

Die Nachlässigkeit der JVA-Leitung hat einen Landschaftsgärtner aus Eutin womöglich das Leben gekostet. Dessen Papiere trug Bogner bei sich, als ihn Fahnder am 30. Oktober in Lübeck aufspürten. Von dem Mann fehlt jede Spur. Die Ermittler gehen davon aus, dass Bogner die Identität des Gärtners annehmen wollte und ihn deshalb umbrachte. Schon einmal hatte Bogner nach einem Gefängnisausbruch fremde Papiere bei sich, deren Inhaber verschwunden blieb. Er stand deshalb 2002 in Niedersachsen wegen Mordes vor Gericht, wurde aber freigesprochen, da keine Leiche gefunden werden konnte.

Justizministerin Lütkes muss sich nun unangenehme Fragen der Opposition gefallen lassen. Zwar gibt es bisher keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Grünen-Politikerin von der Lockerung der Haftbedingungen für Bogner gewusst haben könnte. Doch werfen ihr CDU und FDP vor, die Öffentlichkeit nicht sofort nach der Flucht vor Bogner gewarnt zu haben. Auch das Parlament sei nur unvollständig unterrichtet worden.

Den verantwortlichen JVA-Chef hat Lütkes am Freitag von seinen Aufgaben entbunden. Doch Simonis, die an ihrer Justizministerin festhalten will, ahnt, dass der Fall damit nicht ausgestanden ist: „Die Opposition wird das ausschlachten.“ An Stoff für neue Schlagzeilen herrscht in der Tat kein Mangel. Inzwischen wurde bekannt, dass Bogner im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms seinen Namen ändern durfte und in Wahrheit Lenz heißt.

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