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Bundeskanzler Olaf Schulz besucht Solingen nach Terrorangriff Am Montagvormittag besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Innenminister Herbert Reul den Oberbürgermeister in Solingen, Tim Kurzbach. Gemeinsam wurden Blumen am Tatort des Terroranschlages niedergelegt und mit Einsatzkräften gesprochen. Anschließend folgte ein Pressestatement.

© IMAGO/Tim Oelbermann

Update

„Das war Terrorismus gegen uns alle“: Scholz kündigt in Solingen eine rasche Verschärfung des Waffenrechts an

Die Messerattacke von Solingen befeuert die Debatte über die deutsche Migrationspolitik. Die Union und die FDP kritisieren den Kanzler scharf. Der äußerte sich nun bewegt am Ort des Anschlags.

Stand:

Als Reaktion auf den tödlichen Messerangriff von Solingen hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine rasche Verschärfung des Waffenrechts in Aussicht gestellt.

„Das soll und das wird jetzt auch ganz schnell passieren“, versicherte Scholz bei einem Besuch in der nordrhein-westfälischen Stadt. Er sei sicher, dass ein Vorschlag der Bundesregierung von Bundestag und Bundesrat schnell verabschiedet werden könne.

Scholz will Abschiebungen weiter beschleunigen

„Das war Terrorismus, Terrorismus gegen uns alle“, sagt ein offenkundig bewegter Scholz. „Das ist etwas, was wir niemals hinnehmen werden, was wir niemals akzeptieren werden“, fügt der Kanzler hinzu. „Wir empfinden zutiefst, was für ein furchtbares Verbrechen das ist. Das bewegt uns alle, und das wird keinem von uns aus den Köpfen gehen“, sagte er bei einem Besuch des Tatorts. „Das werden wir nicht vergessen.“ Er selbst sei „wütend“ und „zornig“.

26.08.2024

Abschiebungen will Scholz nun „notfalls mit rechtlichen Regelungen“ weiter beschleunigen. Nötig sei zugleich aber eine „konsequente, praktische Vollzugstätigkeit“, sagte der SPD-Politiker.

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Abschiebungen von Dublin-Fällen, die sich zuerst in anderen Ländern Europas aufhielten, müssten vorangebracht werden. „Da wird es sicherlich sinnvoll sein, eine Taskforce zu etablieren, die das genau studiert“, sagte Scholz. Manches werde man nur europarechtlich regeln können, „aber an all’ diese Dinge müssen wir uns machen“.

Scholz legt Rose am Solinger Tatort nieder

Zuvor hatte Scholz am Tatort des Messerangriffs eine weiße Rose niedergelegt. Das Gleiche taten der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), die stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne), NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD).

Danach verharrten sie kurz mit gefalteten Händen. Anschließend gingen sie weiter zu einem Gespräch mit Einsatzkräften von Feuerwehr und Rettungsdiensten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) wird von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wuest (M.) und Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (l.) begrüßt.

© AFP/Henning Kaiser

Wüst mahnte konkrete Konsequenzen in der Asyl- und Sicherheitspolitik an. „Ankündigungen alleine werden nicht reichen“, sagte der CDU-Politiker in Solingen. „Es geht um die Frage, ob Menschen, die dauerhaft kein Recht haben, hier zu sein, einfacher dieses Land wieder verlassen können – oder am besten erst gar nicht kommen.“ Fristen, bürokratische Hemmnisse und Schlupflöcher machten es Behörden vor Ort schwer, auch nur nach Europa abzuschieben. Es müsse möglich werden, Menschen auch in Teile Syriens und nach Afghanistan abzuschieben.

Der Ministerpräsident sprach zudem eine stärkere Bekämpfung von islamistischem Terror an. „Diese freie Gesellschaft lässt sich nicht niederringen, aber sie muss eben auch wehrhaft sein – auf dem Stand, der dieser Herausforderung angemessen ist.“ Daher sei darüber zu diskutieren, ob die Behörden ausreichend ausgestattet sind.

Es geht nicht nur um Solingen – es geht um unser Land.

Tim Kurzbach, Oberbürgermeister

Solingens Oberbürgermeister Kurzbach bat darum, die nun folgenden Debatten nicht auf dem Rücken der Stadt auszutragen. „Lasst uns zur Ruhe kommen“, appellierte er nach einem Treffen mit Scholz und Wüst. „Es geht nicht nur um Solingen – es geht um unser Land.“

„Wir sind noch lange nicht durch mit dem Schrecken der Ereignisse“, sagte Kurzbach vor allem mit Blick auf die Solinger Einsatzkräfte. Diese würden durch weitere Demonstrationen und Kundgebungen zusätzlich belastet, warnte der Oberbürgermeister und rief dazu auf: „Führt die Debatten, aber führt sie gerne auch in euren Städten!“

Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen werden unterdessen Forderungen nach härteren Abschieberegeln und einem strengeren Waffenrecht lauter. Zugleich wird Aufklärung verlangt, weshalb die Behörden im vergangenen Jahr mit dem Versuch scheiterten, den syrischen Asylbewerber abzuschieben, der so überhaupt erst den Anschlag mit drei Todesopfern verüben konnte.

Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) sprach sich für Grenzschließungen aus, um irreguläre Migration zu stoppen. „Es kommen seit Jahren jeden Tag hunderte junge Männer aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland und Europa. Das muss endlich enden“, sagte Spahn der „Rheinischen Post“.

Der Anschlag von Solingen zeige erneut „schmerzhaft die Konsequenzen dieses Kontrollverlustes“, sagte Spahn. „Die deutschen Grenzen müssen für irreguläre Migration geschlossen werden.“

CDU-Chef Friedrich Merz nahm den Anschlag und die bisherigen Ermittlungsergebnisse zum Anlass für eine Aufforderung zur Kehrtwende in der Migrationspolitik.

Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen.

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender

„Wenn Solingen jetzt für die Koalition nicht der Wendepunkt ist, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, damit hier einige Leute endlich mal zur Besinnung kommen“, sagte Merz im ARD-Brennpunkt. Zudem forderte er, „dass wir aufhören, eine naive Einwanderungspolitik zu machen“.

Die FDP hat als Reaktion auf den Anschlag grundlegende Wende in der Migrationspolitik gefordert. „Symbolpolitik wie Messerverbotszonen sind Symptombekämpfung und bringen uns in der Sache nicht weiter“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Christoph Meyer, am Montag der Nachrichtenagentur AFP. Die Debatte um schärfere Bestimmungen zum Tragen von Messern kritisierte Meyer als „emotional geleiteten, vorschnellen Aktionismus“.

Es gebe in Deutschland vielmehr „offenkundig Probleme mit gewaltbereiten jungen Männern, Islamismus und illegaler Migration“, sagte Meyer - und fügte an die „Ampel“-Partner gerichtet hinzu: „Wer das leugnet, bedient linke Lebenslügen.“ Die Regierung müsse sich nun um „sachliche Lösungen bei der inneren Sicherheit und der Asylpolitik“ kümmern, anstatt über neue Messerregelungen zu debattieren.

Merz und Scholz wollen sich treffen

Zuvor hatte Merz einen Brief an Kanzler Scholz geschrieben. Darin forderte er die Bundesregierung zu einem Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan auf. „Nach dem Terrorakt von Solingen dürfte nun endgültig klar sein: Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen. In der Mehrzahl der Fälle sind dies Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stehen islamistische Motive dahinter“, schrieb Merz am Sonntag in seinem E-Mail-Newsletter „MerzMail“.

Nach Angaben des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, wollen Merz und Scholz nun über den Anschlag in Solingen und die Konsequenzen sprechen. „Die beiden werden sich im Laufe diese Woche treffen und über diese Fragen sprechen“, sagt er im TV-Sender Phoenix.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz (hier bei einer Veranstaltung in Erfurt).

© Imago/Matthias Gränzdörfer

SPD-Chefin Saskia Esken wies Merz’ Forderung nach einem Aufnahmestopp zurück, da ein solcher Schritt „mit unseren Gesetzen auch nicht vereinbar ist, nicht mit der Europäischen Flüchtlingskonvention, nicht mit unserer Verfassung“. Schwere Straftäter und islamistische Gefährder müssten aber in diese Länder abgeschoben werden können. „Die Gesetzeslage ist klar, wir müssen in der Umsetzung besser werden“, sagte Esken der Deutschen Presse-Agentur.

Am Sonntag hatte Esken in der ARD-Sendung „Caren Miosga“ noch gesagt: „Gerade aus diesem Anschlag lässt sich, glaube ich nicht allzu viel lernen, weil der Täter ja offenkundig nicht polizeibekannt war, insofern auch nicht unter Beobachtung stand.“ Zugleich forderte sie mehr Kontrollen im Netz. Vieles werde dort offen kommuniziert. „Nur sind wir natürlich nicht ständig da, um dort jedem auf die Finger zu gucken.“ Anbieter wie Telegram, Facebook und Instagram müssten deshalb in die Pflicht genommen werden, solche Vorgänge auch mitzuverfolgen.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte im ARD-„Morgenmagazin“, dass viele der Vorschläge von Merz nicht gingen, weil das Grundgesetz ihnen entgegenstehe. Das gelte zum Beispiel für das individuelle Recht auf Asyl.

Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir Menschen, die selbst vor Islamisten fliehen, […] jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen.

Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär

„Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, weil sie von denen für ihre Lebensweise verfolgt werden, jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen“, sagte Kühnert. Man müsse sich jetzt anschauen, warum die Rückführung des mutmaßlichen Täters nach Bulgarien nicht geklappt habe.

Bulgarien sei nach allem, was man wisse, bereit gewesen, ihn zurückzunehmen. „Zuständig sind für Abschiebungen in Deutschland die Länder, das wäre in diesem Fall Nordrhein-Westfalen gewesen.“ NRW müsse jetzt die Fakten auf den Tisch legen, warum nicht gehandelt worden sei.

Tatverdächtiger Syrer sollte abgeschoben werden

Warum die Abschiebung nicht erfolgt sei, könne er nicht sagen, sagte Herbert Reul im Deutschlandfunk. Als Innenminister sei er in NRW nicht für Abschiebungen zuständig, sondern seine Kabinettskollegin Josefine Paul von den Grünen, die das Ressort für Familie, Flucht und Integration innehat.

„Ich glaube, es liegt nicht an einem einzelnen Vorgang, der da falsch gelaufen ist, sondern man muss auf das System gucken“, sagte Reul. Es müsse untersucht werden, „wie funktionieren bei uns Abschiebungen und wie kompliziert ist das in einem Rechtsstaat“.

Mein Eindruck ist, es ist kein Fehler im Verfahren.

Herbert Reul, NRW-Innenminister

In dem konkreten Fall seien offenbar Fristen verstrichen, um den Mann innerhalb der EU nach Bulgarien abzuschieben, wo er zuerst europäischen Boden betreten habe. Die Behörde habe versucht, ihn abzuholen, er sei aber nicht angetroffen worden. Der Mann sei aber „nicht untergetaucht“, sondern habe sich immer wieder in der Flüchtlingsunterkunft aufgehalten.

„Mein Eindruck ist, es ist kein Fehler im Verfahren, sondern wahrscheinlich eher die Frage, ob dieses ganze Verfahren so richtig ist mit Fristen, mit Abschiebungen und wann man was machen darf“, sagte Reul.

Wie der „Spiegel“ berichtete, kam der Verdächtige Ende 2022 nach Deutschland und stellte einen Antrag auf Asyl. Den Sicherheitsbehörden war er demnach bislang nicht als islamistischer Extremist bekannt. Diese Informationen wurden der Deutschen Presse-Agentur bestätigt.

Der Asylantrag des Tatverdächtigen wurde demnach abgelehnt. Deshalb sollte er im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden. Über das Land war er in die Europäische Union eingereist. Da er zwischenzeitlich allerdings in Deutschland abgetaucht sei, sei die Abschiebung vorerst hinfällig gewesen, schrieb die „Welt“.

Reul schlägt parteiübergreifende Gespräche vor

Kühnert betonte, die Ampel arbeite bereits an Lösungen für die Abschiebung von Intensivstraftätern auch nach Syrien und Afghanistan. Sie komme auch beim Waffenrecht und bei Messerverboten voran. Jetzt müsse es verstärkt um das Problemfeld der Radikalisierung von Einzeltätern gehen. „Das ist der Bereich, wo wir nicht gut vorankommen im Moment“, sagte der SPD-Generalsekretär. „Hier braucht es jetzt einen großen Wurf von Bund und Ländern gemeinsam.“

Reul schlug parteiübergreifende Gespräche über eine Begrenzung der Zuwanderung vor. Er brachte dazu am Montag im Deutschlandfunk eine Art „Runden Tisch“ ins Gespräch – denn es sei „mittlerweile unbestritten“, dass Zuwanderung begrenzt werden müsse. Auch über eine Reform der Asylverfahren müsse gesprochen werden.

Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs von Solingen wurde per Helikopter nach Karlsruhe gebracht.

© dpa/Uli Deck

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in der ARD, Straftäter müssten sofort in Arrest genommen werden und das Land verlassen, insbesondere in Richtung Syrien und Afghanistan. Der Polizei müssten mehr Möglichkeiten für Kontrollen gegeben werden.

Union will Sondersitzung im Bundestag

Die Union will die Attacke und die Folgen nun auch zum Thema im Bundestag machen. Ihre Fraktion habe eine Sondersitzung des Innenausschusses für diese Woche beantragt, sagte die Vize-Vorsitzende Andrea Lindholz (CSU) im Frühstart von RTL/ntv. Dort solle Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklären, welche Maßnahmen die Bundesregierung plane und wie sie die Sicherheitslage verbessern wolle.

Noch diese Woche soll es auch eine Sondersitzung im nordrhein-westfälischen Landtag geben. Die Oppositionsfraktionen von SPD und FDP haben unabhängig voneinander entsprechende Anträge gestellt. Die SPD will, dass der Innen- und der Integrationsausschuss zusammen tagen. Die FDP wiederum hat eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt.

Nun müssen die Vorsitzenden beider Gremien einen Termin finden – in Landtagskreisen geht man von Mitte der Woche aus. Die SPD verweist in ihrem Antrag auf den Anschlag selbst sowie auf die Vorgeschichte des mutmaßlichen Täters, der „in einer Flüchtlingseinrichtung lebte und eigentlich ausreisepflichtig war.“ Im FDP-Antrag heißt es, Innenminister Reul solle über „aktuelle Erkenntnisse zu der Tat sowie über die Reaktionen der Landesregierung“ berichten.

Die Debatten über die Lehren aus dem Anschlag wurden auch vor dem Hintergrund der Landtagswahlen am kommenden Sonntag in Thüringen und Sachsen geführt. Einer Insa-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ zufolge könnte die AfD in beiden Bundesländern stärkste Kraft werden. In Sachsen kommt sie demnach auf 32 Prozent, in Thüringen lag sie bei 30 Prozent. (AFP, dpa)

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