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Die Bombe zerstörte Hiroshima nahezu komplett - für viele Überlebende ging der Horror weiter.

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Bericht einer Überlebenden: "Die Menschen in Hiroshima verdampften regelrecht"

Als 13-Jährige erlebte Setsuko Thurlow das Inferno in Hiroshima und erfuhr danach in Japan Diskriminierung und Ablehnung - erst recht, als sie begann, offen über die Bombe und die Folgen zu sprechen.

Setsuko Thurlow war 1,8 Kilometer von Hiroshima entfernt, als am 6. August 1945 das Inferno losbrach. Sie war 13 Jahre alt und arbeitete mit ihren Klassenkameradinnen daran, in einem Armeehauptquartier Nachrichten zu entschlüsseln. Sie sah einen blauweißen Blitz und hatte das Gefühl zu schweben, so erzählt die heute 83-jährige Überlebende die Geschichte selbst. Das Nächste, an was sie sich erinnern kann: Sie steckte unter Gebäudeteilen fest und konnte sich nicht bewegen. Ein Soldat half ihr aus den Trümmern und schickte sie in die Richtung einer Hügelgruppe. Viele ihrer Mitschülerinnen blieben unter den Trümmern gefangen, wenig später brannte die Ruine. "Sie sind bei lebendigem Leib verbrannt", sagt Thurlow bis heute erschüttert.

Setsuko Thurlow kletterte über Tote und Sterbende

Das verstörte Mädchen schloss sich einem Zug von Menschen an, die sie gar nicht mehr als solche erkennen konnte. Ihre Haare hätten zu Berge gestanden, viele waren zur Unkenntlichkeit verbrannt, hatten Körperteile verloren, oder ihre Därme hingen aus ihrem offenen Bauch. Sie kletterten über Tote und Sterbende. Die Verletzten baten flüsternd um Wasser. In Hiroshima selbst tobten Brände mit einer Temperatur von bis zu 4000 Grad Celsius, "die Menschen verdampften regelrecht".

Setsuko Thurlow - hier 2014 bei einer Konferenz per Video zugeschaltet - bekam Ärger, als sie später Interviews gab.
Setsuko Thurlow - hier 2014 bei einer Konferenz per Video zugeschaltet - bekam Ärger, als sie später Interviews gab.

© dpa

Nach dem Horror der ersten Tage kamen die Strahlenfolgen. Thurlow hat einen großen Teil ihrer Familie verloren. Vater, Mutter und Schwester mit ihrem Baby starben sofort. Eine Tante und ein Onkel kümmerten sich um das Mädchen, aber nach zehn Tagen starben beide an den Folgen der Strahlung. Sie seien von pinkfarbenen Flecken übersät gewesen, und ihre inneren Organe schienen sich verflüssigt zu haben, so erzählt Thurlow die Geschichte, seit sie sich mit Mitte 20 entschieden hat, nicht mehr zu schweigen.

Sie hat die Angst vor den Folgen der Strahlung verdrängt

Thurlow selbst hat die Angst vor den Folgen der Strahlung ihr Leben lang verdrängt. In den ersten Jahren hat sie ihren Körper, wie alle Überlebenden, nach pinkfarbenen Flecken abgesucht. Und als sie schwanger war, machte sie sich auch Gedanken. Aber sie hat die Angst weggeschoben.

Dass die japanische Gesellschaft die Hibakusha, die Überlebenden der Bombe, abgelehnt und diskriminiert hat, hat den Betroffenen das Leben noch schwerer gemacht. Viele hätten aufgrund der Strahlenschäden nicht so schnell arbeiten können wie andere, sagt Thurlow. Manche seien depressiv und lethargisch gewesen. Viele Japaner hätten daraus geschlossen: Die sind faul und arbeiten nicht.

Wer vom Feuer nicht entstellt war, versuchte aus Hiroshima und Nagasaki wegzukommen und anderswo ein neues Leben anzufangen, wo die Leute nichts vom Überleben wussten. Auch deshalb sei es für die Hibakusha klug gewesen, "zu schweigen".

In der Besatzungszeit kontrollierten die USA sieben Jahre lang sämtliche Informationen über die Folgen der Atombomben. Zeitungen wurden zensiert, und schriftliche Zeugnisse der Überlebenden wurden beschlagnahmt, seien es Briefe, Tagebücher oder sogar Gedichte.

Heute lebt die 83-Jährige in Kanada

In den 1980er Jahren hat eine japanische Bürgerbewegung Geld gesammelt, um diese Dokumente aus einem amerikanischen Archiv zurückzukaufen. Die Regierung, sagt die heute in Kanada lebende Thurlow verächtlich, "hat nie Mut bewiesen und sich nie auf die Seite der Überlebenden gestellt".

Thurlow durfte in den USA studieren. Doch nachdem sie einigen Zeitungen Interviews über die Bombenabwürfe und ihre Folgen gegeben hatte, "habe ich ziemlich viel Ärger bekommen". Die Haltung ihr gegenüber sei feindselig gewesen. So landete die Überlebende in Kanada.

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