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Da geht sie. Claudia Schmid am Mittwoch beim Verlassen des Abgeordnetenhauses, wo Innensenator Frank Henkel über ihre Bitte um Versetzung informiert hatte.

© dapd

Berliner Verfassungsschutz: Die Chefin geht - und Henkel hat ein neues Personalproblem

Unter der Führung von Claudia Schmid ist der Berliner Verfassungsschutz gereift. Nun tritt die Chefin ab - und von allen Seiten wird das bedauert. War der Schritt notwendig?

Lange haben sie in der Berliner Politik geglaubt, bei der Überwachung der rechtsextremen Szene hätte es nur woanders Pannen und Skandale gegeben. Dann kam die Sache mit dem V-Mann des Landeskriminalamts, der sich als Helfer des rechtsextremen Terroristentrios NSU erwies. Ende vergangener Woche musste Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) zugeben, dass seine Verfassungsschützer gesetzeswidrig Akten mit rechtsextremem Inhalt vernichtet hatten. Dem folgte von Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid am Dienstag das Eingeständnis einer weiteren Schredder-Aktion. Am Mittwoch teilte Henkel mit, dass er der Bitte Schmids um Versetzung nachkommen wolle. Die oberste Berliner Verfassungsschützerin – formell Leiterin einer Abteilung der Berliner Senatsinnenverwaltung – ist die fünfte Verfassungsschutzchefin, die im Zuge der Aufklärung der NSU-Mordserie ihr Amt verliert.

Wie begründete Schmid ihren Rückzug?

Das tat sie nicht selbst. Innensenator Henkel informierte am Mittwoch die Abgeordneten im Ausschuss für Verfassungsschutz darüber, dass er dem Amt neue Strukturen gegen wolle, um Fehlentwicklungen zu verhindern. Dazu gehöre eine verstärkte „Rotation“ von Beamten in der Berliner Verwaltung. Henkel nannte besonders den (krank gemeldeten) Leiter des Referats Rechtsextremismus beim Verfassungsschutz, der „einer anderen Verwendung“ zugeführt werden solle – das ist der Mann, der eigenhändig Akten mit rechtsextremen Inhalten geschreddert hatte, die ins Landesarchiv sollten. Dann erst erklärte Henkel, dass auch Schmid „versetzt“ werden wolle. Sie habe dies angeboten, um den Weg für den von Henkel gewünschten „kontrollierten Neuanfang“ der Behörde frei zu machen.

Wie ist der Rücktritt in der Berliner Politik aufgenommen worden?

Selten dürfte eine politische Personalie so eigenartig kommentiert worden sein: Von Henkel über die Verfassungsschutz- Fachleute aller Fraktionen bis hin zu den Piraten bekam Schmid zum Abschied nur Lob und Komplimente zu hören. Henkel erinnerte daran, dass sie vor zwölf Jahren eine in ihren Grundfesten erschütterte, skandalgeschüttelte Behörde übernommen und reformiert und dabei einen „hervorragenden Job“ gemacht habe – Schmid dankte danach Henkel für die „netten“ Worte. Der SPD-Abgeordnete Thomas Kleineidam sprach von einer „Ironie der Geschichte“, dass ausgerechnet Schmid nun wegen Missgeschicken und Fehlern gehen müsse. Politiker der Linken sagten, Henkel erweise sich als „Meister im Abwälzen von Problemen“. Wie jetzt Schmid habe auch die amtierende Polizeichefin Margarete Koppers die Verantwortung übernommen, als der Skandal um den V-Mann der Polizei publik wurde und sich Abgeordnete über Henkels Informationspolitik beschwerten.

Welche Pannen gab es beim Berliner Verfassungsschutz unter ihrer Leitung?

Bekannt geworden sind zwei, doch schließt in Berlin derzeit kein Fachmann aus, dass weitere folgen. In zwei Fällen sind Akten des Verfassungsschutzes vernichtet beziehungsweise verschwunden und vermutlich vernichtet worden, beide Vorgänge hatten mit Rechtsextremismus zu tun, beide sollen – das betonten Henkel und Schmid – keinen direkten Zusammenhang zur Mord- und Terrorserie des NSU gehabt haben. Im ersten Fall ist allerdings unbekannt, welche Akten überhaupt vernichtet wurden. Im zweiten Fall (der Schmids Rückzug zur Folgen hatte), ging es um Berliner Erkenntnisse zum rechtsextremen Musiknetzwerk „Blood and Honour“, das im Jahr 2000 bundesweit verboten worden ist. Die drei NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sollen indes 1998 zum Zentrum von „Blood and Honour“ in Jena gehört haben. Thomas S. wiederum, V-Mann des Berliner Landeskriminalamts, soll ebenfalls „Blood and Honour“ verbunden gewesen sein. Claudia Schmid musste am Dienstag im Verfassungsschutzausschuss abermals eingestehen, dass ihre Behörde über den V-Mann der Polizei nicht wirklich informiert war: Thomas S. sei den Verfassungsschützern nicht als V-Mann der Polizei mit seinem Klarnamen bekannt gewesen.

Wer entscheidet beim Verfassungsschutz, wann welche Akten vernichtet werden?

Die Verfassungsschutzbehörde frage das Landesarchiv immer an, wenn die Speicherfrist von Akten – die sehr unterschiedlich sein kann – abgelaufen ist, sagte ein Beamter dem Tagesspiegel. Die Akten, deren Frist abgelaufen ist, stapelten sich dann im Keller. Der Referatsleiter erkundige sich dann beim Landesarchiv, ob historisches Interesse an den Akten bestehe. „Ist dies nicht der Fall, dann werden die Akten vernichtet“, erklärte der Beamte. Dies wiederum mache der Geheimschutzbeauftragte – entweder selbst oder er übergebe den Auftrag an eine Firma oder die Bundesdruckerei. „Bei der Schredder-Affäre war auf jeden Fall immer der Referatsleiter involviert“, hieß es aus der Innenbehörde. Schmid informierte am Dienstag darüber, dass in Zukunft zu archivierende und zu vernichtende Akten getrennt aufbewahrt werden sollten.

Zeigen die Pannen: Verfassungsschützer sind auf dem rechten Auge blind?

Dass manche Verfassungsschützer zumindest in Thüringen rechts nicht genau hingesehen haben, bestreitet seit dem Bekanntwerden der NSU-Terrorserie niemand – deshalb gibt es den Untersuchungsausschuss des Bundestages. Doch zeigen etwa die Verbote diverser Kameradschaften, dass Verfassungsschützer effektiv arbeiten können.

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