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Politik: Berlusconi spekuliert auf „Abseitsfalle“

Ex-Regierungschef liegt in Umfragen weit zurück.

Rom - Es gibt Leute, die können es schon gar nicht mehr erwarten. Die Abgeordnete Michaela Biancofiore (42) zum Beispiel, die sich als „die wohl erbittertste Berlusconianerin“ bezeichnet, schlägt vor: Nach der Rücktrittsankündigung von Regierungschef Mario Monti solle „der legitim und demokratisch gewählte ,Presidente Berlusconi’“, Führer der größten Parlamentsfraktion, eine Übergangsregierung bis zu den Neuwahlen bilden. Zuständig für die Ernennung wäre Staatspräsident Giorgio Napolitano; er will sich zum Fahrplan in Richtung Parlamentswahl am kommenden Montag äußern. Aufgrund der an den Finanzmärkten als unsicher bewerteten politischen Entwicklung in Italien sind am Montag die Risikoaufschläge stark gestiegen, die das Land für seine Staatsanleihen bezahlen muss.

Italien wählt, so erwarten es nun alle Beobachter, im Februar. Silvio Berlusconi hat im Trainingszentrum seines Erstliga-Fußballklubs AC Milan angekündigt, er trete „wie immer an, um zu gewinnen“. Um dies zu schaffen, muss er aber einen Rückstand von 15 Prozentpunkten gegenüber den Sozialdemokraten von Pier Luigi Bersani aufholen.

Ganz unmöglich ist das nicht. Italienische Kommentatoren überlegen, dass Berlusconis „Volk der Freiheit“ auch deshalb auf ihr historisches Umfragetief von 16 Prozent gestürzt ist, weil in der Partei das Chaos herrschte und keiner wusste, wer die Führung übernehmen würde. Diese Unsicherheit beendete der „Cavaliere“ nun in seinem „Staatsstreich von oben“.

Zudem gilt Berlusconi mit der Macht seiner Fernsehsender im Hintergrund als der wohl stärkste Wahlkämpfer Italiens. Und dann hat er einen entscheidenden inhaltlichen Vorteil: Wenn der ehemalige Regierungschef gegen soziale Einschnitte, die gewachsene Arbeitslosigkeit, die erhöhten Steuern, überhaupt gegen die „alles verschlimmernde Regierung Monti“ polemisiert, greift er eine Missstimmung im Volk auf und zwingt seine Gegner, die Strenge Montis zu verteidigen – in einem abstrakten „Interesse Italiens und Europas“, von dem sich bei fortdauernder Rezession so schnell keiner etwas kaufen kann.

Vor allem aber gibt es eine „Abseitsfalle“ im italienischen Wahlrecht. Die zwei Kammern des Parlaments werden auf unterschiedliche Weise besetzt: Für das Abgeordnetenhaus zählt man die Stimmen landesweit aus; keiner zweifelt daran, dass der Sieg an die Sozialdemokraten gehen wird. Der Senat hingegen setzt sich aus den Einzelergebnissen der 20 Regionen zusammen. Das ist traditionell ein Flickenteppich. Es genügt, wenn Berlusconi seine strategisch wichtige Lombardei hält – und schon können die Sozialdemokraten mit ihrer Mehrheit im Abgeordnetenhaus nichts mehr anfangen, denn beide Kammern sind gleichberechtigt.Paul Kreiner

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