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Politik: Betrügt die Bergungsfirma die Stadt Swinemünde? Als Beweis entschärfte der Bürgermeister selbst einen mannshohen Sprengkörper

Der Stabsfähnrich wägt seine Worte vorsichtig ab. Er sagt nicht Ja und sagt nicht Nein.

Der Stabsfähnrich wägt seine Worte vorsichtig ab. Er sagt nicht Ja und sagt nicht Nein. Er deutet nur an, und seinen Namen in der Zeitung lesen will er auch nicht. Schließlich ist er ein Pionier, und dazu noch - wie er sagt - einer der besten in Polen. Der 49-Jährige ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass auch Worte Sprengstoff sein können.

Auf die Frage, ob er bezeugen könne, dass die deutschen Seeminen aus dem Zweiten Weltkrieg 1998 im Hafen von Swinemünde (Swinoujscie) versenkt wurden, antwortet der Stabsfähnrich mit einem verschmitzten Lächeln. Klar, könne er das bezeugen, sagen seine Augen. Doch sein Mund schweigt.

Es geht um viel. Seit einem halben Jahr bezichtigt Bürgermeister Stanislaw Mozejko die Schiffsbergungsgesellschaft Polskie Ratownictwo Okretowe der Erschleichung von vier Millionen Mark zu Lasten der Stadt. Das Bergungsunternehmen aus Gdingen, so die Anschuldigungen des Swinemünder Bürgermeisters, habe Potemkinsche Dörfer errichtet. Es soll Wracks geborgen haben, die es gar nicht gab, und 15 intakte Seeminen aus dem Depot der polnischen Kriegsmarine in Darlowo heimlich versenkt haben.

Am Mulnikbecken, einer kleinen Seitenbucht des Swinemünder Hafens, wo die umstrittenen Räumungsarbeiten stattfanden, war der Marinesoldat von Anfang an dabei. Er habe einiges gesehen und noch mehr gehört, sagt er, aber mit einer Aussage möchte er noch abwarten.

Seine Vorsicht ist berechtigt. Obwohl er sich der Schiffsbergungsgesellschaft keineswegs verbunden fühlt - sie schuldet ihm immer noch rund 2500 Mark -, ist er weit davon entfernt, gesprächig zu werden. Anfang April hatte der Stabsfähnrich nach einem Glas zu viel in seiner Stammkneipe über die Bergungsarbeiten im Mulnikbecken wohl zu detailliert geplaudert.

"Es war ein Fehler, der für ihn böse Folgen hätte haben können", hatte sein langjähriger Freund, Roman Kuchcinski, ein 50-jähriger Tauchlehrer aus Swinemünde, gesagt. Der Respekt des Stabsfähnrichs vor dem Know-how der Sprengstoffexperten von der Kriegsmarine sei groß. So groß, dass er zwei Wochen lang im Keller übernachtete. Seine Wohnung im zweiten Stock einer Plattenbausiedlung für Militärangestellte sei ihm nicht mehr sicher genug gewesen.

Die Angst ist bis heute sein ständiger Begleiter, selbst wenn er das nicht zeigt. Der Reporter solle ihn in zwei Tagen anrufen, sagt er. Er brauche noch ein wenig Zeit, um ein paar Einzelheiten zu überprüfen. Zwei Tage später tut er überrascht, als die Nachfrage kommt. Nein, jetzt sei er noch nicht soweit, bittet er um Entschuldigung. "Rufen Sie mich nach 22 Uhr an." Um 22 Uhr geht seine Frau ans Telefon. Es tue ihr Leid, aber ihr Mann sei in einer dringenden Familienangelegenheit für ein paar Tage verreist. Wann er wieder da sei, wisse sie nicht.

Ob es der Stabsfähnrich war, der dem Bürgermeister entscheidende Hinweise zu den bei Nacht und Nebel versenkten Seeminen gegeben hat, bleibt Gegenstand vieler Spekulationen. In Swinemünde wird gemunkelt, dass die Vorwürfe Bürgermeister Mozejkos gegen die Schiffsbergungsgesellschaft und die 8. Flottille der polnischen Kriegsmarine auf zuverlässigen Hinweisen von Insidern beruhen. "Sonst hätte er sich auf diese Geschichte niemals eingelassen", sagt Henryk Laps, Besitzer eines Zeitungsladens am Rathaus. "Mozejko muss Tips aus erster Hand erhalten haben. Nur die Entschärfung der Bombe hätte er besser anderen überlassen sollen. Das ist schließlich keine Beschäftigung für einen Präsidenten."

Doch der gelernte Elektroingenieur legt wenig Wert auf die Äußerlichkeiten des Amtes. Selbst den Präsidententitel, mit dem er nach polnischen Gepflogenheiten als Bürgermeister einer Stadt mit mehr als 40 000 Einwohnern formell angesprochen wird, empfindet er als lästig. Sein Amt bedeutet für ihn Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Ob es sich dabei um das ehrgeizige Projekt eines Tunnelbaus unter der Swine handelt oder das Aufspüren von illegalen Praktiken der Schiffsbergungsgesellschaft, Stanislaw Mozejko, 45, steht im Ruf, ein besessener Arbeiter zu sein.

Er empfängt den Besucher vor der riesigen Seemine, die wie eine antike Statue kerzengerade vor seinem Kabinett Wache hält. "Das war mal Technik vom Feinsten", sagt er fast wehmütig. "Man konnte diese Minen sowohl von Flugzeugen als auch von Schiffen ins Wasser werfen und je nach Aufgabe wie einen Küchenroboter programmieren. Sie waren mit den damals modernsten Tiefensensoren ausgestattet. Ihre Zünder reagierten auf die magnetischen Felder vorbeifahrender Schiffe. Der Clou aber war ein feiner Kreiselmechanismus, der die Schwingungen einer Schiffsschraube aufnehmen konnte und dann zum richtigen Zeitpunkt die Explosion auslöste."

Die 2,5 Meter lange und 17 Zentner schwere Bombe wurde am 24. Januar dieses Jahres, genau drei Wochen nach dem Amtsantritt Mozejkos, in einer kleinen Hafenabzweigung, dem Mulnikbecken, entdeckt. Laut Vertrag, den sein Vorgänger, Krzysztof Adranowski, Mitglied der postkommunistischen Partei SLD, mit der Schiffsbergungsgesellschaft im Oktober 1996 unterzeichnet hatte, sollte die Stadt für die Beseitigung des Blindgängers 100 000 Zloty, umgerechnet 55 000 Mark, zahlen. Doch der neue Bürgermeister dachte nicht daran, die Katze im Sack zu kaufen. Statt dessen schickte er einen Mitarbeiter mit Videokamera zum Schlammbecken, um den Fund zu dokumentieren. Die Aufzeichnung bestätigte seinen Verdacht. Die Seemine war in einem viel zu guten Zustand, um über fünfzig Jahre unter Wasser gelegen zu haben. "Ich wollte meinen Augen nicht trauen", sagt er. "Hier an der Ostseeküste weiß das doch jedes Kind, wie Gegenstände aus Eisen oder Aluminium nach einem halben Jahrhundert im Wasser aussehen." Das Gehäuse der Mine war glatt und unbeschädigt. Die Gewinde und die Schrauben glänzten, als hätten sie gerade die Produktionshalle einer Munitionsfabrik verlassen. Zwei Wochen nach der Bergung bildeten sich Luftblasen unter der Farbschicht, die abzublättern anfing. Ein klarer Hinweis darauf, dass der Blindgänger nur kurz unter Wasser war.

Noch vor seiner Amtsübernahme sammelte Mozejko - damals Journalist bei der Lokalzeitung "Der Neue Insulaner" - Beweise für die dubiosen Geschäfte der Schiffsbergungsgsellschaft. Das staatliche Unternehmen aus Gdingen wurde beauftragt, Wracks und andere Altlasten zu beseitigen, die zunächst die deutsche Marine und später die sowjetische Kriegsflotte im Mulnikbecken hinterlassen hatten.

Die Räumungsarbeiten, für die die Stadt Swinemünde mit 4 Millionen Mark geradestehen musste, fanden nur auf dem Papier statt, behauptet Mozejko. Die Schiffsbergungsgesellschaft habe nicht einmal einen Kran am Ufer des Mulniks aufgestellt. Von den zehn Schiffswracks, für deren Bergung sie 2,5 Millionen Mark in Rechnung stellte, gibt es so gut wie keine Spur mehr. Lediglich die 160 Tonnen Alteisen, die bei dem Swinemünder Schrotthändler Tomasz Guwer abgeliefert wurden, sind noch belegbar. Doch diese Menge Schrott, meint Mozejko, hätte bestenfalls für ein Wrack gereicht. Es gebe keinen einzigen Beweis für den Verbleib von Eisenbergen, die Tausende von Tonnen gewogen haben müssen. Statt dessen häuften sich Hinweise auf Kungeleien der Schiffsbergungsgesellschaft mit dem Vorgänger Mozejkos, dem Bürgermeister Adranowski, und dessen alten Nomenklaturafreunden bei Polizei, Staatsanwaltschaft und der 8. Flottille der Kriegsmarine. Mit den Räumungsarbeiten sollten offenbar öffentliche Gelder erschlichen werden.

Für die Entdeckung weiterer Wracks sei die 1500 Meter lange und 100 Meter breite Bucht viel zu schmal. Wohl aus diesem Grunde, spottet Mozejko, habe sich das Bergungsunternehmen 1998 auf die Suche nach deutschen Wasserbomben umgestellt, obgleich die Entminung dieses Hafenteils schon 1950 abgeschlossen worden war.

Dass die Sprengkörper erst vor kurzem ins Mulnikbecken gelangt sein müssen, bestätigt der Bericht des staatlich geprüften Tauchers Jerzy Bilik, der das Mulnik ausgerechnet im Auftrag von Polskie Ratownictwo Okretowe auf das "Vorhandensein ferromagnetischer Gegenstände" untersucht hatte. Nach einer fünfwöchigen Durchkämmung des seichten Beckens hatte der Experte nur einige "Blechteile, Wrackelemente und Eisenbahnschwellen" entdeckt, die anschließend beseitigt wurden.

Von den 15 Bomben, die dort angeblich entdeckt wurden, fehlt heute ebenfalls jede Spur. Ihre Bergung fand im Unterschied zu jener der Phantomwracks mit viel Gespür für Publicity statt. Über jeden Fund berichteten Sensationsreporter, jedesmal wurde der Schiffsverkehr im Hafen aus Sicherheitsgründen lahmgelegt, und jedes Mal ließ dann die Kriegsmarine die Minen auf hoher See medienwirksam detonieren.

Schon seit langem hat der Bürgermeister keine Zweifel mehr, dass die Blindgänger heimlich versenkt worden waren. Höchstwahrscheinlich stammen sie aus dem Depot der polnischen Kriegsmarine in Darlowo, wo deutsche Seeminen aus dem 2. Weltkrieg gelagert waren. Anfang der 70er Jahre hatten dort polnische Ingenieure von der Technischen Militärakademie versucht, sie in Torpedos umzuwandeln. Die Mine Nr. 16, die am 24. Januar geborgen wurde, weist deutliche Spuren dieser Versuche auf, etwa die eingestanzte Identifizierungsnummer und Elektrokabel mit Kunststoffisolierung aus den 70er Jahren. "Zeittechnisch gesehen ist sie eine Hybride", sagt Mozejko, "eine Kreuzung aus spätem Hitler und frühem Gierek."

Nun ist das explosive Stück sein Kronzeuge. Nachdem die Bergungsgesellschaft sich geweigert hatte, den Blindgänger freizugeben - selbst in Begleitung der Polizei durfte der Bürgermeister das streng bewachte Gelände nicht betreten -, wurde ihr laut Beschluss der Stadtratsversammlung vom 31. März mit sofortiger Wirkung gekündigt. Als Antwort ließ Polskie Ratownictwo Okretowe die Mine vom Seil abschneiden und im Hafenbecken versenken. Erst Mitte April gelang es einer Gruppe von Tauchern, sie erneut zu bergen. Im Gegensatz zu den früheren Behauptungen der Kriegsmarine, die auf eine rasche Sprengung des Blindgängers drängte, ergab ein Gutachten des Instituts für Elementarchemie an der Technischen Hochschule in Stettin, dass er nicht mit äußerst explosivem Hexanit, sondern mit einer als relativ ungefährlich geltenden Mischung von Trotyl und Aluminiumpulver gefüllt war.

Da der Zündungsmechanismus nicht mehr vorhanden war, entschloss sich Mozejko, die Mine im Bunker am Mulnikbecken zu entschärfen. Mehr Angst habe er dabei vor einer möglichen "Einmischung" als vor dem Sprengstoff selbst gehabt, den er mit 80 Grad Celsius warmem Wasser ausspülte. "Ich hätte schwören können, dass es hinter den Sträuchern am Bunker vor neugierigen Besuchern nur so wimmelte. Zwei- oder dreimal habe ich Ferngläser im Gebüsch gesehen", sagt er.

Trotz der erfolgreichen Sicherstellung des Beweises war dem Bürgermeister kein Triumpherlebnis beschieden. Dieselbe Kreisstaatsanwaltschaft, die für seine Hinweise auf die zweifelhaften Räumungsarbeiten im Mulnikbecken nur taube Ohren hatte, lud ihn Anfang Juli, und zwar als Verdächtigen, zum Verhör vor. Durch seine Weigerung, die Mine detonieren zu lassen, so der Vorwurf, habe er das Leben der Einwohner von Swinemünde in Gefahr gebracht.

"Ich fühlte mich wie in einem Buch von Kafka oder in einem Alptraum, in dem alles verkehrt erscheint", sagt Mozejko. Er fürchtet "sizilianische Verhältnisse" auf Usedom. Die Vorladung warf er in den Papierkorb. Statt die Staatsanwaltschaft aufzusuchen, ließ er in der Tageszeitung "Zycie" eine ganzseitige Anzeige drucken, in der er die Öffentlichkeit über die angeblichen Blindgänger und die Phantomwracks informierte.

Inzwischen hat sich auf Veranlassung der Justizministerin Hanna Suchocka die Generalstaatsanwaltschaft der Sache angenommen. Auch die Seemine, die im Swinemünder Rathaus vor dem Arbeitszimmer Mozejkos steht, soll nun untersucht werden.

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