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Die SPD hat vor allem eines ihrer Kernthemen vergessen: Visionen für Schule.

© dpa

Bildungspolitik: Löcher im Dach, das Bildung heißt

Woran die SPD wirklich scheitert. Eine Kolumne.

Aufstieg durch Bildung: So lautet eins der wirkmächtigsten Leitmotive sozialdemokratischer Politik. Emblematisch verkörpert etwa der Weg von Gerhard Schröder diese Verheißung, was auch immer man heute von ihm halten mag. Als Sohn einer Sozialhilfeempfängerin und eines ungelernten Arbeiters, der im Krieg gefallen war, kam Schröder über die Abendschule und den zweiten Bildungsweg zum Jurastudium, wurde Anwalt, Ministerpräsident und Bundeskanzler. Engagement und Ehrgeiz waren sein Antrieb, keine Frage. Gleichwohl war diese Karriere nur möglich geworden durch Chancen, die in früheren Epochen undenkbar waren.
Aufstiegschancen von einem Milieu ins andere gibt es weiterhin, doch die vertikale Mobilität ist zäher geworden. Immer mehr junge Leute besuchen Universitäten, aber nur ein Viertel von ihnen hat Eltern ohne Abitur. Zigtausende Lehrer fehlen an Schulen. In ärmeren Stadtteilen der Ballungsräume liegt der Anteil der Kinder, deren Eltern nicht die Landessprache sprechen, an vielen Schulen bei 70 bis 90 Prozent und darüber – auch und gerade in SPD-Hochburgen wie Berlin oder Bremen. Ohne Plan oder Absicht haben soziale Dynamiken Sphären einer Bildungsapartheid geschaffen. Das ist einfach so passiert? Ja. Und jedes Jahr verlassen rund 50000 junge Menschen die Schule ganz ohne Abschluss.
Nach der Wahl in Bayern, nachdem die SPD unter die Zehn-Prozent-Marke gerutscht war, rief dort ein SPD-Mitglied einer Versammlung von Genossen zu: „In das sozialdemokratische Haus regnet es rein, weil wir kein Dach mehr haben!“ Jede rote Ziegel dieses Dachs hatte einmal die Aufschrift „Bildung“. Offenbar sind sie verschwunden. Vielleicht haben die Hausmeister auf dem Dachboden nicht nachgeschaut und die kaputten, heruntergepurzelten Ziegel rings ums Haus wurden schlicht übersehen.
Nirgends können sich vergleichbare Tore zur Gerechtigkeit so weit öffnen wie an Schulen. Chancengerechtigkeit ist das Projekt der SPD, doch lediglich Familienministerin Franziska Giffey lässt für den Bereich der Jüngsten gerade neue Ziegel brennen. Für die Kindertagesstätten, die Basisräume. Das ist enorm wichtig. Von einer SPD-Taskforce Bildung lässt sich allerdings noch nicht sprechen, und die täte not. Denn Schulen können alles bedeuten – alles für all die, die im Elternhaus keine Bibliotheken und Gärten haben, keine anregenden Diskussionen, kein Vorlesen am Abend. Wie brutal die Entfernung klafft zwischen solchen Milieus und der prekären Realität, schildern Bestseller wie Philipp Möllers erschütternder Lehrerbericht „Isch geh Schulhof“. Lesen SPD-Politiker solche Bücher nicht? Und falls doch, was denken sie dabei?
Trotz der Steuermilliarden, wird oft geklagt, gebe es fürchterlich unsanierte Schulklosetts. Zur Illustration für die irrwitzige Vernachlässigung des Bildungsapparats dienen wieder und wieder die maroden Waschräume. Ihre Rolle als Paradebeispiel ist Symptom für einen Blick auf Bildung, der sich nicht auf die Köpfe der Kinder richtet, noch weniger auf ihr Potenzial. Das häufigste zweite Thema, wenn von Reformbedarf an Schulen die Rede ist, heißt Digitalisierung. Händeringend beschwören Politiker die MINT-Fächer, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Aber aus sauber gekachelten Waschräumen und glänzenden Bildschirmen formt sich keine starke, packende Vision für Schule im demokratischen Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts.
Technisch fitte MINT-Kinder heranzuziehen reicht nicht. In der digitalen Inflation, die bereits den kindlichen und jugendlichen Kosmos mit ihrem Überangebot an unsortiertem Datenmüll überschwemmt, muss es um solides Wissen gehen, um autonomes Denken und selbstbewusstes Handeln. Das Potenzial dazu existiert überall, quer durch alle Milieus, es hat nichts zu tun mit sozialer oder ethnischer Herkunft, nichts damit, ob Kinder Fabian oder Fjodor oder Fatima heißen. Auch das weiß man in der SPD – eigentlich.
Aus Schulen müssen Lernpaläste werden. Gebraucht wird dazu nur der politische Wille für einen neuen Bildungspakt. Wo an Schulen Ethik, Gesellschaftskunde, Geschichte, soziale und digitale Kompetenz vermittelt werden, braucht es begleitend demokratische Diskussionsforen, Schülerparlamente. Flächendeckend müssen Schulessen und Förderkurse kostenfrei werden, und Schulen brauchen Orchester, Chöre, Werkstätten, Gärten. Solche Schulen Wirklichkeit werden zu lassen zählt zur zentralen Aufgaben sozialer Demokratie, die auf sich hält – und die sich erhalten will.

Caroline Fetcher

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