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Britscher Klimaminister: "Bis 2050 sollen alle Häuser saniert sein"

Der britische Klimaminister über Einsparpotenziale, erneuerbare Energien und die Zukunft der Atomkraftwerke.

Ihre Vorgängerregierung hat sich ein starkes klimapolitisches Profil erarbeitet. Wird die konservativ-liberale Koalition diesen Kurs fortsetzen?

Wir wollen das nicht nur fortsetzen. Wir wollen noch besser werden. Sie haben recht: Die Vorgängerregierung verdient Anerkennung für das, was sie seit dem G-8-Gipfel in Gleneagles für den internationalen Klimaschutz geleistet hat. Aber im Vereinigten Königreich ist die Bilanz gemischter. Zum Erbe, das wir übernommen haben, gehört, dass wir innerhalb der Europäischen Union den drittniedrigsten Anteil erneuerbarer Energien in unserer Energieversorgung haben. Nur Malta und Luxemburg sind noch schlechter. Wir müssen den Anteil erneuerbarer Energien massiv erhöhen, um die EU-Vorgabe von 15 Prozent am Gesamtenergieverbrauch bis 2020 einhalten zu können.

Wo sehen Sie noch Defizite?
Wir haben einen der ältesten Gebäudebestände in Europa. Viele Häuser sind noch vor dem Ersten Weltkrieg gebaut worden.

Bevor es Energiestandards gab …
Der Standard war Energieverschwendung. Diese Häuser sind für die Kohle gebaut worden, sie haben riesige Kamine, durch die die Wärme direkt entweicht. Die Menschen lieben diese Häuser, weil sie Charakter haben. Aber sie müssen dringend energetisch saniert werden. Wir haben uns dafür etwas ausgedacht, das hoffentlich ein sehr effektiver Weg sein wird, unseren alten Häuserbestand bis 2050 auf einen Niedrigenergiestandard zu bringen. Die Energieversorger sollen allen Hausbesitzern und Mietern einen „Green Deal“ anbieten, der darin besteht, dass der Energieversorger die Investitionskosten für die Sanierung zunächst übernimmt. Die Bewohner werden geringere Energiekosten haben als vor der Sanierung, doch einen höheren Preis als die realen Energiekosten bezahlen. Aus diesem Betrag wird die Investition refinanziert. Die Energieversorger können diese Kredite bündeln und über den Kapitalmarkt weitere Mittel einwerben, um weitere Sanierungskontrakte anbieten zu können. Derzeit haben Hausbesitzer kein Interesse an Sanierung, weil Mieter den Vorteil der niedrigeren Energiekosten haben. Wenn die Mieter die Kosten über eine etwas höhere Energierechnung tragen, lösen wir das sogenannte Mieter-Vermieter-Dilemma.

Welche Effekte erwarten Sie davon?
Das hat ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Wir rechnen mit dem Entstehen einer ganz neuen Industrie. Wir reden über einen potenziellen Markt von 90 Milliarden Pfund, also mehr als 100 Milliarden Euro. Wir gehen davon aus, dass die Branche, die derzeit rund 15 000 Menschen beschäftigt, bald ein Vielfaches an Jobs anzubieten hat. Dafür müssen wir ein paar Gesetze ändern. Es muss gewährleistet sein, dass der Green-Deal-Vertrag vom Nachmieter übernommen werden muss, so dass das System weiter funktioniert. Das ist ganz entscheidend, denn im Klimagesetz haben wir uns verpflichtet, unseren Treibhausgasausstoß bis 2050 im Vergleich zu 1990 um 80 Prozent zu senken. Die Gebäude machen ein Viertel unserer Emissionen aus.

In Deutschland streiten wir über die Atomkraft. In Großbritannien sollen sogar neue Meiler gebaut werden. Wie sehen Sie das?
Wir Liberaldemokraten sind sehr skeptisch, was Atomenergie angeht. Wir wollten kein neues Atomprogramm. Aber das war einer der Kompromisse, die wir eingehen mussten. Die Konservativen sind sehr für die Nutzung der Atomenergie. Unser Kompromiss besteht darin, dass es keine Subventionen für die Atomenergie geben wird. Denn traditionell haben wir den Rückbau und den Atommüll extrem schlecht gemanagt. Die Hälfte meines Etats fließt in die Altlasten der Atomenergienutzung – rund zwei Milliarden Pfund pro Jahr. Deshalb wollen wir neue Atomanlagen nur akzeptieren, wenn all diese Probleme und auch die Regulierung des Sicherheitsniveaus von Anfang an gelöst werden. Trotzdem denke ich, es wird neue Atomkraftwerke in Großbritannien geben. Zum einen werden alle treibhausgasarmen Energieformen, also erneuerbaren wie nukleare, von einer neuen Klimaschutzabgabe profitieren, die einen Baisispreis für Kohlendioxid bilden wird. Das ist ein Anreiz für den Umbau des Energiesystems, auch für EdF oder Eon/RWE, die den Neubau von Atomkraftwerken in Großbritannien angekündigt haben. Außerdem gehen wir in unseren Energieprognosen davon aus, dass ein Großteil des Energieverbrauchs in Zukunft Strom sein wird, sowohl im Verkehr, wo wir die Benzinautos durch Elektroautos ersetzen wollen, als auch bei der Raumwärme, die vor allem durch Erdwärmepumpen erzeugt werden soll. Der Stromverbrauch wird also steigen.

Das Gespräch führte Dagmar Dehmer.

Chris Huhne (56) ist seit Mai 2010 Klima- und Energieminister in Großbritannien. Er hat sich zwei Mal um den Vorsitz der Liberaldemokraten bemüht und unterlag zuletzt 2007 Nick Clegg.

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