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Politik: Brüssel blickt auf einen Dichter

Istanbul - Unruhig rutschte Orhan Pamuk auf seinem Stuhl hin und her. Er fuchtelte mit den Armen und sprach so schnell, dass sich seine Worte überschlugen.

Istanbul - Unruhig rutschte Orhan Pamuk auf seinem Stuhl hin und her. Er fuchtelte mit den Armen und sprach so schnell, dass sich seine Worte überschlugen. Als der bekannteste und international erfolgreichste Romanschriftsteller der Türkei vor wenigen Tagen bei einem Live-Auftritt im türkischen Fernsehen vor die Kameras trat, wirkte er nervös. Kein Wunder. Der 53-jährige Pamuk wollte eine für viele Türken unbequeme Botschaft loswerden: Auch für unliebsame Ansichten muss die Meinungsfreiheit gelten, wenn die Türkei eines Tages der Europäischen Union beitreten will.

Am kommenden Sonntag erhält Pamuk den angesehenen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er gilt als der wichtigste zeitgenössische Schriftsteller der Türkei. Dort ist Pamuk derzeit in aller Munde – aber nicht wegen seiner Bücher. Durch Äußerungen zur Armenier-Frage ist er zur Hassfigur der türkischen Nationalisten geworden; gleichzeitig betrachtet die EU den Fall Pamuk als Reifetest für die türkische Demokratie. Der glühende EU-Anhänger Pamuk fühlt sich in seiner neuen Funktion als exponierter Vorkämpfer für die Meinungsfreiheit zwar unwohl – aber verstecken will er sich nicht.

In einer Schweizer Sonntagszeitung hatte Pamuk im Februar mit Blick auf den Kurdenkrieg der neunziger Jahre und die Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg gesagt, in der Türkei seien 30000 Kurden und eine Million Armenier getötet worden, doch es wage niemand, darüber zu sprechen. Dieser Satz hat Pamuk Morddrohungen von Nationalisten und eine Anklage wegen „Beleidigung des Türkentums“ eingebracht. Pamuk sagt, er habe ein Tabu brechen wollen. Das ist ihm gelungen. Über die Armenier-Frage wird mehr diskutiert denn je. Pamuk ist mittendrin. Eine Kampagne gegen ihn sei in Gang gesetzt worden, beklagt er sich. Dabei habe gewiss auch persönlicher Neid eine Rolle gespielt. Kritiker hatten Pamuk vorgeworfen, seine Armenier-Äußerungen seien ein zynisches Manöver zur Steigerung der Verkaufszahlen für seine Bücher gewesen. Doch für Pamuk ist der Armenier-Streit eine wichtige Prüfung für die Europafähigkeit seines Landes. „Dieses Tabu ist ein Hindernis für uns auf dem Weg in die EU“, sagte er dem Sender CNN-Türk.

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