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Politik: Bruno Kreisky: Der lange Schatten von Österreichs Sonnenkönig

Sie legen zwar Kränze nieder, aber so richtig scheinen Österreichs Sozialdemokraten mit ihrem Bruno Kreisky nichts mehr anfangen zu können. Vor genau zehn Jahren, am 29.

Sie legen zwar Kränze nieder, aber so richtig scheinen Österreichs Sozialdemokraten mit ihrem Bruno Kreisky nichts mehr anfangen zu können. Vor genau zehn Jahren, am 29. Juli 1990, ist der "Sonnenkönig" im Alter von 79 Jahren gestorben.

Noch immer liegt er wie ein sperriger Block in der Politlandschaft. Als im März der 30. Jahrestag seines Regierungsantritts hätte gefeiert werden können, fand sich keiner, der das tat. Niemand begoss die Zeitenwende von damals: Bruno Kreisky hatte als erster Sozialist die österreichische Kanzlerschaft errungen, eine Aufbruchstimmung ohnegleichen trug ihn. Reformen, Liberalisierung, Modernisierung setzte er nach den Jahrzehnten stockkonservativer ÖVP-Regierung durch; die Gesellschaft wollte er - analog zu Willy Brandts "Demokratie wagen" - "mit Demokratie durchfluten".

Es folgten drei Jahrzehnte sozialdemokratischer Kanzlerschaft. Und nun muss sich die SPÖ vorhalten lassen, in welche Verkrustungen sie das Land geführt habe. Sie ist abgewählt, weiß nicht, was sie in der Opposition tun oder gar feiern soll - und ein anderer hat sich mit gleichem Anspruch wie Kreisky daran gemacht, Reform, Liberalisierung, Modernisierung durchzusetzen: einer von der Konkurrenz, Wolfgang Schüssel.

Zyniker könnten sagen, mit der ÖVP/FPÖ-Koalition sei eine Saat Kreiskys aufgegangen. Er hatte sich von der FPÖ, damals Sammlungsbewegung der Rechten und Altnazis, ins Amt hieven lassen. Gegen eine Wahlrechtsreform, die ihr mehr Mandate im Parlament zusicherte, tolerierte die FPÖ bis 1971 Kreiskys Minderheitskabinett; und als der "Alte" 1983 abtrat, schubste er die FPÖ zu seiner SPÖ in die Regierung.

In den drei Wahlen dazwischen hatte Kreisky für seine SPÖ jeweils die absolute Mehrheit eingefahren. Eine Phase der Hochkonjunktur erleichterte ihm die Arbeit, und die Wirtschaftskrisen 1973 und 1979 meisterte er mit "Durchtauchen". Seinem "Austrokeynesianismus" zufolge sorgte der Staat mit Großinvestitionen für Nachfrage und Beschäftigung: "Mir sind ein paar Milliarden Schulden lieber als hunderttausend Arbeitslose", sagte er - und hohe Budgetdefizite sind ein Kennzeichen Österreichs geblieben.

"Links" war Kreisky trotz aller programmatischer Reden nicht. Eine Umverteilung nach unten unterblieb während seiner 13 Jahre Kanzlerschaft; er lenkte die Aufmerksamkeit der SPÖ auf die Mitte der Wählerschaft, entideologisierte, fühlte sich als Zentrist und Aufklärer. Kreiskys Stärke war es, alle möglichen Gruppen einzubinden. Nie regierte er gegen die Opposition oder die Sozialpartner; die wichtigen Gesetze wurden im Konsens erarbeitet und beschlossen.

Zu den Seiten, die sein Erbe gerade heute so schwer machen, gehört Kreiskys Umgang mit den Juden. Selbst aus traditionell großbürgerlichem jüdischen Haus stammend, aber Agnostiker ohne Nähe zur Gemeinde, leistete er sich Angriffe, gegen die heutzutage mehr als nur läppische EU-Sanktionen aufgefahren würden. Seiner Regierung gehörten vier ehemalige Nazis an, nur einen entließ er. Den FPÖ-Chef Friedrich Peter nahm er in Schutz, als Simon Wiesenthal diesem die Mitgliedschaft in einer SS-Mordbrigade nachwies. Gegen Wiesenthal wetterte Kreisky, er sei ein "jüdischer Faschist", und: "Wenn die Juden ein Volk sind, dann sind sie ein mieses Volk."

Kreisky konnte bei seinen Attacken gegen die Juden auf Stimmungen in Österreich setzen. Seine Ausfälle aber hinderten ihn nicht daran, sehr aktiv an einer Friedenslösung für den Nahen Osten zu arbeiten und gute Kontakte mit beiden Seiten pflegen, mit Palästinensern wie mit Israelis. Er hat Arafat eingeladen und damit "salonfähig" gemacht; Österreich wurde zum ersten westlichen Land, das die PLO offiziell anerkannte.

Zudem hat er sich nie mit der EWG abgegeben. Sein Feld war immer die Weltpolitik. Er hat die Vereinten Nationen nach Wien geholt - sie haben bis heute nach New York und Genf ihren dritten Sitz dort -, und er hat die Neutralität seines Landes aktiv ausgenutzt, um Wien zu einem Schauplatz von Abrüstungsgesprächen und Gipfeltreffen zwischen den USA und der UdSSR zu machen. Mit Kreiskys Tod kam der österreichischen Politik das Weltformat abhanden. Sie hat es bis heute nicht wiedererlangt.

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