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Politik: Bulgarien will nun doch Stasi-Akten öffnen

Umgang mit der Vergangenheit bleibt umstritten

Als das bulgarische Innenministerium Journalisten Mitte Mai Zugang zu bisher geheimen Akten der kommunistischen Staatssicherheit gewährte, werteten Medien dies als rein taktische Geste. Schließlich stand die Entscheidung der Europäischen Kommission zum EU-Beitritt Bulgariens an. Außerdem handelte es sich nur um einen kleinen, peripheren Quellenbestand aus dem Zeitraum 1947 bis 1961. Die interessanteren personenbezogenen Dossiers bis 1989, die Einblicke in Schuld und Verstrickung von Bulgariens Elite geben könnten, sollten verschlossen bleiben. Das Balkanland gilt unter den ehemaligen Ostblockländern als dasjenige, das am wenigsten Aufklärung seiner totalitären Vergangenheit betrieben hat. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, wie brisant das Thema „Stasi-Akten“ wenig später werden sollte: Die sozial-liberale Koalition von Ministerpräsident Sergej Stanischev sah sich am Ende genötigt, die vollständige und bedingungslose Offenlegung der Akten zu versprechen.

Alles begann mit der Anfrage einer Journalistin an Innenminister Rumen Petkov, ob und, wenn ja, welche Akten zu elf Journalisten in den Archiven der kommunistischen Geheimdienste zu finden seien. Mit einer aufschlussreichen Antwort rechnete sie nicht – schon gar nicht damit, dass Petkov seine Erkenntnisse auf der Internet-Seite des Ministeriums publizieren würde. Vier der elf Journalisten hätten Verbindungen zur Staatssicherheit gehabt. Zwei davon – darunter die Fragestellerin – seien möglicherweise ohne ihr Wissen abgeschöpft worden, die anderen müssten als aktive Zuträger gelten. Das war eine Sensation. Zum einen handelte es sich bei den beiden mutmaßlichen inoffiziellen Mitarbeitern um populäre TVModeratoren. Zum anderen war Petkovs Vorstoß ohne Absprache mit seinem Regierungschef und sogar gegen dessen erklärten Willen erfolgt. Stets haben sich Stanischev und Präsident Georgi Parvanov, die beide der Sozialistischen Partei angehören, gegen eine Öffnung der Akten gewandt. Viele Dokumente, so ein Argument der Gegner jeglicher Veröffentlichung, seien nach 1989 vernichtet worden. Damit sei die Wahrheit nicht mehr zu rekonstruieren, der soziale Frieden aber gefährdet. Stanischev plädierte dafür, Bulgarien solle sich lieber um die Erfüllung der EU-Kriterien kümmern als um die Vergangenheit: „Die Öffnung der Dossiers steht weder auf der Tagesordnung der Regierung noch auf der der Gesellschaft.“

„Der Geist ist aus der Flasche“, hielten die Aufklärer dagegen. Sie behielten Recht. Nach wochenlangen Spekulationen und gegenseitigen Verdächtigungen drohte der Streit nicht nur Bulgariens Vorbereitung auf den EU-Beitritt zu beeinträchtigen, sondern auch den beginnenden Präsidentschaftswahlkampf. Mit dem Versprechen freien Zugangs zu allen Geheimdienstdossiers hat die Regierung nun Dampf aus dem Kessel gelassen. Wann und wie die Öffnung der Akten erfolgen soll, behielt sie jedoch für sich.

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