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Bundesbank-Vorstand: Sarrazin giftet gegen Merkels "gefährliche" Regierungspolitik

Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin stellt Angela Merkel ein miserables Zeugnis aus und fordert die Rücknahme falscher Wahlgeschenke.

Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin hat die Regierungspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scharf kritisiert und mehr Klarheit in der Definition ihrer Ziele gefordert. "Ich habe den Eindruck, dass die aktuelle Politik ein müder Wiederaufguss der späten Kohl-Jahre ist", sagte Sarrazin im Gespräch mit Handelsblatt Online. "Ich vermisse jedweden Ansatzpunkt, wie wir mit den Problemen umgehen sollen, die uns in Zukunft wirklich bedrücken." Sarrazin forderte Merkel auf, den Bürgen reinen Wein einzuschenken. "Ich rate der Bundeskanzlerin, sich mal im stillen Kämmerlein einzuschließen, zwei Tage ruhig nachzudenken und sich zu überlegen, was sie wirklich will und das dann auch durchzusetzen", sagte er.

Sarrazin nannte es in diesem Zusammenhang "gefährlich", wenn die Politik in Krisenzeiten wie diesen Wahlversprechen abgebe, die sie möglicherweise nicht halten könne. Politik verliere dann an Glaubwürdigkeit und außerdem Zeit, um sich um die Dinge zu kümmern, die wichtig seien. "Gegenwärtig führen wir albernste Diskussionen über die knapp eine Mrd. Euro Entlastung für Übernachtungen in Hotels", kritisierte der ehemalige Berliner Finanzsenator. "Diese Energie hätte man besser verwandt auf eine vernünftige Lösung in der Familien- oder Bildungspolitik." Hier werde politische Energie "sinnlos verbrannt". Auch an der Rentenpolitik lässt Sarrazin kein gutes Haar. "Die Rentengarantie ist der reine Schwachsinn", sagte der SPD-Politiker. Kurz vor der Bundestagswahl hatte die Große Koalition eine Garantie gesetzlich verankert, wonach die Altersbezüge nicht sinken dürfen. Sarrazin gab zu bedenken, dass dies für den einzelnen kaum spürbar sein werde, die Regelung dafür aber "einiges an Porzellan zerschlagen" habe.

Systemflucht ist garantiert

Denn wer heute als junger Mensch in die Rentenversicherung einzahle, der könne sicher sein, dass er nie das zurück bekomme, was er eingezahlt habe, sagte Sarrazin unter Hinweis darauf, dass sich das Verhältnis zwischen Rentenbeziehern und Beitragszahlern in den kommenden 30 Jahren "dramatisch verschieben" werde. Seine Prognose: Mehr und mehr Leute werden aus dem bestehenden System fliehen. "Deshalb ist es für mich völlig unverständlich, wie man ein solches problembehaftetes System noch mit falschen Zusagen belastet und sich damit für die Zukunft politische Spielräume zustellt."

Sarrazin bezweifelte, dass es der Kanzlerin gelingen werde, einen gesellschaftlichen Konsens in grundlegenden Fragen zu erreichen. "Einen gesellschaftlichen Grundkonsens auf der Basis, dass man den Einkommensteuertarif mit 24 Mrd. Euro entlastet, indem man beispielsweise in diesem Umfang den Zuschuss an die Rentenversicherung kürzt, den kann es nicht geben", betonte er. Überdies sei auch der Schuldenkurs der Regierung nicht im Sinne der Generationengerechtigkeit. "Ich halte die Staatsverschuldung bei einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung für ein brennendes Problem", sagte er. Die Schuldenbremse sei zwar "extrem mutig". Doch wenn man sie ernst nehme, "dann bedeutet dies, dass die Politik ganz viele ihrer Versprechen wieder einkassieren muss".

Dass es dazu kommt, glaubt selbst Sarrazin nicht. Die Jüngeren hätten eine schlechte Lobby in Berlin. Politiker wüssten, dass die Über-60-Jährigen zahlenmäßig die Unter-35-Jährigen überträfen. "Und wer die Rentner auf seiner Seite hat, der gewinnt jede Wahl." (HB)

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